Die Sünden des Highlanders
sollte das sein?«
»Die Fähigkeit, die Wahrheit zu sehen, wenn Ihr etwas berührt.«
6
Morainn wusste, dass sie die drei gewöhnlichen Haarnadeln, die Sir Simon ihr hinhielt, anstarrte, als hielte er ihr eine Viper unter die Nase und fordere sie auf, sie zu küssen. Aber sie konnte nicht anders. Es war ihr ein Graus, etwas zu berühren, das sich in der Nähe von Tod, Tragödie oder Gewalt befunden hatte. Dabei stellten sich bei ihr meist höchst unangenehme Bilder ein. Wenn diese Dinge in der Nähe der ermordeten Frauen gefunden worden waren, fürchtete sie sich bereits jetzt vor dem, was vor ihrem inneren Auge auftauchen würde. Die Träume, die sie in letzter Zeit gehabt hatte, waren schlimm genug gewesen.
»Wo habt Ihr die gefunden?«, fragte sie schließlich, auch wenn ihr die Antwort bereits bekannt war. »Es sind ganz gewöhnliche Haarnadeln, nichts, was einer dieser feinen Damen gehört haben könnte.« Morainn wusste zwar, dass das nicht ganz stimmte, die Männer aber hatten offenbar noch nichts Ungewöhnliches an diesen Nadeln entdeckt.
Simon ließ sie nicht aus den Augen. »Ich habe sie dort gefunden, wo die Morde geschehen sind«, sagte er.
»Die Frauen wurden doch in ihren Betten ermordet, oder?«
»Nay. Sie wurden an einem anderen Ort ermordet, und als sie tot oder fast tot waren, wurden sie in ihre Betten gelegt. Ich fand die Nadeln am Tatort. Sie könnten natürlich auch irgendeiner Frau gehört haben, die früher dort gewohnt oder sich mit einem Liebhaber dort getroffen hat, und nichts mit den Morden zu tun haben.«
Morainn wunderte sich nicht, dass ihre Hand zitterte, als sie sie nach den Haarnadeln ausstreckte. Alles in ihr sagte ihr, dass sie ihre Gabe bestimmt als bitteren Fluch empfinden würde, sobald sie diese Nadeln berührt hätte. Zu ihrer Verwunderung legte Tormand plötzlich die Hand auf die ihre. In seiner Miene spiegelte sich Besorgnis. Aber nicht nur das führte dazu, dass Morainn kaum noch Luft bekam. Die Berührung seiner eleganten, langgliedrigen Hand schickte eine derartige Hitze durch Morainns Körper, dass sie es nur mit Mühe schaffte, ihre Hand nicht zurückzuziehen. In seinen ungewöhnlichen, wundervollen Augen tauchte plötzlich eine Wärme auf, die ihr sagte, dass auch er es gespürt hatte. Morainn musste erst einmal schlucken, bevor sie etwas sagen konnte, ohne dass ihre Stimme verriet, wie aufgewühlt sie war.
»Ich muss diese Nadeln berühren, um eine Vision zu haben«, sagte sie und hoffte, dass die anderen glaubten, das schwache, doch rauchige Zittern in ihrer Stimme ginge auf ihre Angst vor dem zurück, was sie vielleicht bald sehen würde. Und sie verspürte diese Angst auch sehr deutlich, Morainn war flau, als habe sie ein verdorbenes Stück Fleisch verzehrt.
»Ihr müsst das nicht tun«, sagte Tormand, auch wenn er sich fragte, was ihn dazu veranlasste einzugreifen, denn das lag mit Sicherheit nicht in seinem Interesse. Er brauchte ja die Antworten, die sie womöglich für ihn fand. Anfangs hatte er daran gezweifelt, dass sie allein durch eine Berührung Einsichten erlangen konnte. Doch ihre Angst war ganz offenkundig nicht gespielt. Deshalb zögerte er, sie ihre Gabe unter Beweis stellen zu lassen. Dennoch – drei Frauen waren tot, und zu viele Leute fingen an, ihn immer argwöhnischer zu beäugen. Morainn zu hindern war unsinnig, aber er hatte einfach eingreifen müssen, als er ihre Angst bemerkte.
»Ich denke, ich tue es«, sagte sie leise. »Frauen werden ermordet. Vielleicht waren sie nicht frei von Sünde, aber ich glaube nicht, dass sie das verdient haben, was ihnen angetan wurde. Und außerdem fangen die Leute an, Euch zu verdächtigen, nicht wahr?«
»Aye.« Zögernd nahm er seine Hand weg. Doch sein Zögern war nicht nur dem Wunsch geschuldet, sie vor dem zu beschützen, was sie vielleicht gleich sehen würde. »Wenn diese Nadeln von dem Mörder berührt wurden, werden Euch keine angenehmen Bilder erscheinen.«
»Ich weiß, aber trotzdem sind drei Frauen tot, und vielleicht bald noch weit mehr, wenn dieser Wahnsinnige nicht aufgehalten wird. Was für ein Mensch wäre ich, wenn ich nicht wenigstens versuchen würde, das zu verhindern? Dafür sind solche Gaben doch bestimmt, nicht wahr?« Sie blickte auf Simon. »Gebt mir erst einmal eine.«
Simon legte ihr eine Nadel in die Hand. Morainn schloss die Finger darum. Sie dachte gerade, dass die besorgten Blicke der sechs Männer wirklich rührend waren, als sie plötzlich in die Hölle
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