Die Sünden meiner Väter: Roman (German Edition)
erst sein, dreißig Leute zu verköstigen, wenn diese das Kochen selbst übernahmen? Irgendwann stellten wir fest, dass wir uns ohnehin auf kleinere Gruppen würden beschränken müssen, da der Platz nicht ausreichte, um mehr als fünfzehn Gäste zur gleichen Zeit aufzunehmen und zu unterrichten. Der neue Trakt war sehr gelungen, wenngleich eine große Veränderung zum ursprünglichen Gebäude, und auf den Brandschutz haben wir natürlich besonderen Wert gelegt.
Das Geschäft floriert, seit Cuisine de Campagne 1978 seine Pforten geöffnet hat. Obwohl ich noch immer für das Konzept und alle größeren Entscheidungen verantwortlich bin, beschäftigen wir mittlerweile bis zu sieben Vollzeitkräfte, sodass ich es bei Bedarf auch mal ein wenig ruhiger angehen kann. Wir bekommen Anfragen aus aller Welt, genießen einen erstklassigen Ruf und sind mit etlichen Preisen ausgezeichnet worden. Vor einiger Zeit habe ich sogar wieder zu Michael Kontakt aufgenommen, um uns auch in Irland bekannt zu machen, und er hat uns schon viele neue Schüler vermittelt. Pierre und ich sind viel gereist, um fremde Sprachen und Kulturen kennenzulernen. Vor fünfzehn Jahren hat Pierre dann die Fleischfabrik verkauft und unterstützt mich seitdem bei Cuisine de Campagne. Auf unseren vier Hektar Land bauen wir unser eigenes Obst und Gemüse an, Fleisch und Käse beziehen wir von Bauern aus der Region. Wir haben gute Jahre und schlechte Jahre, aber meist brauchen unsere Gäste ein wenig Geduld, denn die Warteliste ist lang. Hätten wir die Schule nicht eröffnet, würden wir wohl niemals erfahren haben, was in jenem Sommer 1973 noch geschehen ist. Ein lang gehütetes Geheimnis ist mit Verspätung ans Licht gekommen, ein Geheimnis um Diebstahl, Täuschung und Betrug. Oliver Ryan, so wissen wir nun, ist ein Monster.
XX
OLIVER
Ungefähr vier Monate nach dem Tod meines Vaters erhielt ich einen Brief von Philip. Meinem Bruder. Seine Mutter habe ihn über unsere Beziehung aufgeklärt, er wolle sich mit mir treffen. Ich zog die Entscheidung einige Tage hin und wusste nicht, ob ich mich darauf einlassen sollte oder nicht. Was könnte er mir zu bieten haben? Was könnten wir einander zu sagen haben? Meine Neugier gewann die Oberhand, und wir vereinbarten, uns in einem Hotel im Stadtzentrum zu treffen.
Er war überaus nervös. Ich überhaupt nicht. Rein äußerlich hat er so gar nichts von meinem Vater. Sein blondes Haar ist schütter geworden; das Alter hat es mit ihm weniger gut gemeint als mit mir. Tatsache ist, dass ich jünger aussehe als er.
Als ich eintraf, wartete er bereits in einer Ecke der Hotellobby auf mich. Etwas umständlich erhob er sich aus seinem Sessel, und wir gaben uns die Hand. Er hatte Tee und Sandwiches bestellt, reichte mir eine Tasse samt Unterteller, doch ich lehnte dankend ab. Ich wusste, dass meine Ablehnung ihm die Situation noch schwerer machen würde.
Stattdessen rief ich den Kellner, dass er mir einen doppelten Jameson bringe. Erst dann setzte ich mich zu Philip.
»Wie gut, dass wir endlich einmal miteinander reden«, fing er an. »Seit der Beerdigung haben wir uns ja nicht gesehen, und da … da wusste ich nicht … «
Ich wurde direkt. »Was wusstest du nicht?«
»Er hatte mir erzählt, du wärst ein entfernter Cousin. Mum hat mir später die Wahrheit gesagt.«
Ein Cousin. Interessant.
»Hat er jemals meine Mutter erwähnt?« Ich konnte nicht anders, ich musste es einfach wissen.
»Ja, er … « Philip zögerte. »Er meinte, sie wäre eine Frau von zweifelhaftem Ruf.«
Sein Ton war entschuldigend, und es klang lächerlich, die Sache so altmodisch zu umschreiben. Fast schon biblisch.
»Mum meinte, dass es vielleicht eine Krankenschwester war«, fuhr er fort. »Sie wusste es selbst nicht. Er hat nie darüber gesprochen. Kein Wort.«
Eine Krankenschwester? Nun, das schien auf jeden Fall plausibler als Pater Daniels Version der Ereignisse. »Eine irische Krankenschwester?«
»Vermutlich. Aber ich weiß es nicht. Die Zeiten waren andere damals. Es tut mir so leid. Ich finde es schrecklich, dass er dich derart im Stich gelassen hat.«
Ich unterbrach ihn. Sentimentalitäten sind mir unerträglich.
»Du bist Priester?« Ich wollte nur wissen, weshalb.
»Ja, das bin ich. Ich … ja, eigentlich wollte ich schon immer Priester werden. Seit meinem vierzehnten Lebensjahr.«
»Um so zu werden wie er?«, höhnte ich. »Oder um von ihm wegzukommen?«
Er sah mich verständnislos an.
»Du wusstest, dass er Priester
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