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Die Sündenheilerin (German Edition)

Die Sündenheilerin (German Edition)

Titel: Die Sündenheilerin (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melanie Metzenthin
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hatte, noch immer geschwächt von ihrer kaum verheilten Wunde, da war er ihr wie ein Fremder vorgekommen, der sich hastig die Kappe vom Kopf gerissen, sie mit den Händen zerknüllt und den Blick zu Boden gerichtet hatte, unfähig, auch nur ein Wort hervorzubringen.
    Sie war so gefangen von ihren Erinnerungen, dass sie kaum die Begrüßungen und Fragen hörte, mit denen sie bestürmt wurde. Wie im Traum schüttelte sie Hände, nickte und lächelte pflichtschuldig, um niemanden zu enttäuschen.
    Aus dem Gutshaus näherte sich ein dunkelblonder Mann. Seit wann trug Lothar einen Vollbart? Aber er stand ihm nicht schlecht. Seine Schritte beschleunigten sich, als er Lena erkannte. Dann hatte er sie erreicht und riss sie, ganz gegen die Sitte, in die Arme, als wäre sie noch immer das kleine Mädchen.
    »Lena!« Er lachte. »Ich meine natürlich Frau Helena!«
    »Lothar! Du erdrückst mich gleich!« Gott sei Dank, er war nicht mehr der bestürzt dreinschauende Mann, der sie kaum anzuschauen wagte und nicht wusste, was er sagen sollte.
    Er ließ sie los. Seine Augen strahlten noch immer. So wie früher. »Hattet Ihr Sehnsucht nach daheim?«
    »Nach daheim und nach euch allen. Ich sehe, hier hat sich kaum etwas verändert. Gibt es Vaters Studierstube noch?«
    »Selbstverständlich. Niemand hätte es gewagt, seine Bücher anzurühren. Wollt Ihr sie sehen?«
    »Später. Jetzt möchte ich dir erst einmal meine Begleiter vorstellen. Tante Margarita kennst du bereits. Und dies ist Philip Aegypticus, ein Reisender aus Alexandria, der mir wiederholt behilflich war und uns seinen Schutz anbot, um Gut Eversbrück zu besuchen. Und das ist sein Freund Said al-Musawar.«
    Lothar schüttelte beiden Männern die Hände, als wären sie alte Bekannte.
    »Ihr habt gewiss noch nichts gegessen. Ich sage Gisela Bescheid, dass sie vier zusätzliche Mahlzeiten richten soll«, sagte er dann. »Karl, Robert, kümmert euch um die Pferde unserer Gäste!«
    Die beiden Angesprochenen nahmen den Ankömmlingen die Pferde ab, um sie zu versorgen.
    »Wenn Ihr etwas braucht, wird Marie sich darum kümmern«, sagte er noch. »Aber ich glaube, am liebsten wollt Ihr Euch erst einmal ganz allein hier umsehen, nicht wahr?«
    Lena nickte dankbar.
    Lothar schickte die neugierige Menge an die Arbeit zurück und entschuldigte auch sich selbst mit seinen Pflichten.
    Nur die alte Magd Lies stand noch bei Margarita und schwelgte mit ihr in gemeinsamen Jugenderinnerungen. Vielleicht eine gute Gelegenheit, den wachsamen Augen der Nonne zu entgehen und Philip das Gut zu zeigen.
    »Wolltet Ihr nicht die Kirschbäume sehen?«
    »Sehr gern.«
    »Begleitet Ihr uns, Said al-Musawar?«, fragte sie der Höflichkeit halber. Doch der Araber war feinfühlig genug, um abzulehnen. Ob er wohl noch immer hoffte, sie könne Philip helfen, wenn sie nur genügend Zeit mit ihm allein verbrachte?
    Schon von Weitem roch Lena den Duft der Blüten. Wie oft hatte sie hier im Schatten der verschlungenen Zweige im Gras gelegen und geträumt. Als kleines Mädchen von märchenhaften Abenteuern, später von ihrer Hochzeit mit Martin.
    Was war nur aus ihren Träumen geworden?
    Hastig blinzelte sie die aufsteigenden Tränen fort und wandte sich Philip zu. »Gefallen sie Euch?«
    »Sie sind so, wie Ihr sie beschrieben habt, Frau Helena.«
    »Stark und unveränderlich, findet Ihr nicht auch?« Sie stellte sich zwischen die Bäume, sodass sie mit den ausgestreckten Armen jeden Stamm berühren konnte.
    »Stark, aber nicht unveränderlich.« Philip bog einen kleinen Zweig zu sich herunter und strich zärtlich über die rosigen Blüten. »Heute sind sie so wie Ihr, Helena. In der schönsten Blüte. Voller Kraft, trotz all der Stürme, die sie überstanden haben.«
    Trotz all der Stürme … Hatte er etwa das verdächtige Glitzern in ihren Augen gesehen?
    »Wenn ich der Kirschbaum bin, was seid Ihr dann, Herr Philip?«
    »Vielleicht der Wind, der ruhelos in den Ästen spielt?«
    Er ließ den Zweig los, der wie eine Gerte zurückschnellte. War das wirklich ein herausforderndes Blitzen in seinen Augen?
    »Ihr seid nicht der Wind«, widersprach sie. »Ihr seid eher ein wildes Pferd, das mit dem Wind um die Wette galoppiert.«
    Er zog die Augenbrauen hoch. »Dann seid Ihr die Beständigkeit, und ich bin die Rastlosigkeit?«
    Für einen Moment erinnerte er sie tatsächlich an ein edles Ross, das noch nicht weiß, ob es sich gehorsam satteln lassen oder doch lieber davonlaufen soll.
    »Auch das wildeste Pferd

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