Die Sumpfloch-Saga Bd. 1 - Feenlicht und Krötenzauber
dass Scarlett übel wurde. Sie erkannte es kaum, da es so schnell war, doch sie nahm einen Kopf wahr, der einem übergroßen Geierkopf ähnelte, dem etwas aus dem Schnabel hing. Was das war, konnte Scarlett nicht erkennen, denn rechts und links troff dickflüssiger, grüner Speichel aus dem Schnabel, der aufgrund der Geschwindigkeit dieses Ungeheuers in alle Richtungen spritzte und an den Wänden kleben blieb. Der Körper des Tiers hätte der eine Wolfes sein können, doch sah er zu mager aus, um lebendig zu sein. Die Rippen standen hervor und über ihnen hingen weiße Hautfalten. Die Beine und Arme des Wesens waren wiederum muskulös und die Füße und Hände mit langen, messerscharfen Krallen versehen, die Scarlett und auch Lisandra mit einer Bewegung hätten aufspießen können. Das Ungeheuer hatte auch Flügel, kleine weiße Dinger, die wahrscheinlich nicht groß genug waren, um dieses schwere Tier in die Luft zu kriegen, doch ihm die Fähigkeit verliehen, weite Sprünge zu machen und rasend schnell zu sein. Kaum war das Tier vorüber, stöhnte Lisandra laut auf.
„ Wir müssen etwas tun, Scarlett!“, rief sie. „Wir müssen ihr helfen!“
Mit diesen Worten wollte sie aus dem Versteck springen, doch Scarlett hielt sie fest.
„ Wem?“, fragte sie. „Was ist los?“
Im gleichen Augenblick hörten sie ein vielstimmiges Geschrei und dann, genauso plötzlich, eine noch unheimlichere Stille aus dem Hungersaal.
„ Hast du’s nicht gesehen?“, flüsterte Lisandra. „Er hatte den Hasen im Schnabel. Rackiné!“
„ Rackiné?“, wiederholte Scarlett. „Du meinst, dieses Monster hat es auf Maria abgesehen?“
„ Auf wen sonst?“
Lisandra schoss nun unter der Treppe hervor, da Scarlett sie losgelassen hatte. Aus dem Hungersaal in der Ferne erklang ein Klirren, wieder Schreie, dann rief jemand mit sich überschlagender Stimme:
„ Nein, tu das nicht! Bleib hier!“
Nun rannten Lisandra und Scarlett, so schnell sie konnten. Als sie den Hungersaal erreichten, war es zu spät. An dem Platz, an dem Maria normalerweise saß, stand ihr Teller mit Eintopf und ihr Löffel lag neben der Bank auf der Erde. Auf einem anderen Tisch war die ganze Schüssel umgekippt und der Inhalt ergoss sich über die Bänke und den Boden. Zur Sumpfseite hin war ein Fenster zerschmettert. Unterhalb des Fensters lag Rackiné, kaum zu erkennen, da er in einer Pfütze aus grünem Speichel-Schleim lag, mit dem Gesicht zum Boden. Lisandra lief quer durch den Raum, in dem nun alle durcheinander schrien und redeten. Sie hob Rackiné auf, so eklig er auch war, und wischte ihn ab.
Scarlett sah, dass Gerald in der Nähe des Fensters stand und immer noch in die Richtung schaute, in die das Ungetüm verschwunden sein musste. In diesem Moment spielte es keine Rolle, ob er arrogant war und Scarlett stolz. Sie lief zu ihm hin, zerrte ihn unsanft an seinem moosgrünen Anzugärmel und rief:
„ Was ist mit ihr passiert? Wo ist Maria?“
Er drehte sich zu ihr um und sie sah in seinen Augen, dass er sehr erschüttert war.
„ Sie wollte ihren Hasen retten“, sagte er. „Dieses Greifmonster lief zum Fenster und wartete dort. Sie ließ sich nicht aufhalten, sie kam ihm zu nahe. Das Monster ließ den Hasen fallen, packte Maria und sprang aus dem Fenster. In ein paar Sätzen ist es über den Sumpf geflogen und dann verschwunden. Wir können ihr nicht mehr helfen, Scarlett …“
Er war so traurig, wie man es sein musste. Ganz anders als so viele Schüler im Hungersaal, die nun mutig grölten und lachten, da die Gefahr vorüber war. Ihnen war wohl nicht klar, dass Maria zu weit fort war, um von irgendeinem beherzten Lehrer gerettet zu werden. Sie wussten ja auch nicht, dass eine böse Cruda im Spiel war, die mit Sumpfloch machen konnte, was sie wollte. Scarlett hatte den Eindruck, dass Gerald zu den wenigen gehörte, die das Ausmaß der Bedrohung richtig einschätzten.
Lisandra tat unterdessen etwas, das sie sonst nie tat. Sie sank an der Stelle, an der sie Rackiné aus der Schleimpfütze gerettet hatte, zu Boden, drückte den Hasen an sich und begann zu heulen. Und auch Geicko, der mittlerweile im Hungersaal angekommen war, tat etwas, was er sonst nie tat: Er setzte sich neben Lisandra, nahm sie in den Arm und versuchte sie zu trösten.
Scarlett aber drehte Gerald den Rücken zu und rannte wie der Blitz aus dem Hungersaal. Berry hatte nicht am Tisch gesessen. Wo auch immer Berry war, Scarlett würde sie finden und dann – ja, dann sollte Berry
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