Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Tänzerin im Schnee - Roman

Die Tänzerin im Schnee - Roman

Titel: Die Tänzerin im Schnee - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
Vom Netzwerk:
so schlimm. Ich werde einen Termin vereinbaren, sobald wir wieder zu Hause sind.«
    Vera fragt: »Willst du denn irgendwann einmal Kinder haben?«
    Kinder. Wie immer erwärmt schon das Wort allein ihr Herz und ruft ihre Idealvorstellung von Kindheit wach: diese Reinheit, die einzige unschuldige Zeit im Leben. Nur noch einmal diese Reinheit empfinden, noch einmal auf diese unkomplizierte Art lieben, lachend auf dem Hof und mit Veras Hand in ihrer beim Vortanzen im Bolschoi-Theater …
    »Kinder schon. Aber Schwangerschaft und Geburt?« Nina wünschte, es wäre weniger kompliziert. »Du weißt, was Alla mir über die Geburt ihres Kindes erzählt hat? Da lag sie und schrie vor Schmerzen, und was hat die Ärztin zu ihr gesagt? ›Entspannen Sie sich.‹«
    Vera lacht.
    »Alla hat ihr erklärt, dass es unmöglich ist, sich zu entspannen, während einem ein Loch in die Wirbelsäule gebohrt wird. Und weißt du, was sie daraufhin erwidert hat? ›Rezitieren Sie Verse von Puschkin.‹«
    Vera fügt hinzu: »Mir hat eine der Tänzerinnen in Leningrad einmal erzählt, dass sie so lang in den Wehen lag, dass der Arzt sich auf sie drauf geworfen hat, um das Baby herauszudrücken.«
    »Uhh!«
    »Sie wollte noch nicht einmal ein Kind bekommen. Aber sie hat erst im sechsten Monat gemerkt, dass sie schwanger ist.«
    »Das Problem habe ich ja zum Glück nicht«, erklärt Nina. »Bevor du herkamst, kannte ich ein Mädchen, das völlig ahnungslos war, bissie eines Tages eine Fehlgeburt hatte. Wie sich herausstellte, war sie da schon im fünften Monat.«
    »Aber du weißt es immer schon von Anfang an?«, will Vera wissen.
    »Mein Bauch fühlt sich dann so schwer an. Und meine Brüste tun weh. Seit dem ersten Mal weiß ich, worauf ich achten muss.« Sie schüttelt den Kopf. »Aber ich kann es Viktor nicht noch mal erzählen. Er hat sich beim ersten Mal so gefreut. Er dachte, ich wollte es behalten. Beim zweiten Mal habe ich es schon verschwiegen. Und ich habe ihm versprochen, dass wir es diesen Sommer erneut versuchen können. Ich komme mir so schrecklich vor.«
    Der Dampf hat sich schon wieder verzogen, also steht Nina auf, um mehr Wasser auf die Steine zu gießen. Ihr wird kurz schwindlig. »Dass ich keine Kinder bekomme, ist natürlich noch so eine Sache, die mir seine Mutter vorhält. Weißt du, was sie zu mir gesagt hat? Dass ich nicht schwanger würde, weil ich zu viel auf der Bühne herumspringe.«
    Nach einer kurzen Pause erwidert Vera: »Sie schüttet sich Wodka in den Tee.«
    »Viktors Mutter?« Nina setzt sich wieder auf die Bank. »Bist du sicher?« Sie legt sich hin und behauptet: »Das kann ich gar nicht glauben«, obwohl es natürlich nur allzu gut ins Bild passt. Immer fühlt sie sich »unpässlich« …
    »Und ich kann nicht glauben, dass du nichts gemerkt hast.«
    Schärfe liegt in ihrer Stimme. Nina denkt kurz, dass sie sich verhört haben muss. Sie sieht zu Vera hinüber – diese liegt immer noch reglos ausgestreckt da, als hätte sie nichts Bedeutendes gesagt.
    »Ich habe jetzt fast zwei Jahre lang rund um die Uhr hart gearbeitet«, beginnt Nina und versucht dabei ruhig zu bleiben. »Ich habe nicht die Zeit, bis ins Detail zu beobachten, was im Leben anderer Menschen vor sich geht.« Aber sie spürt bereits das Adrenalin in ihr aufsteigen. »Ich tanze ununterbrochen. Ich lasse mich nicht ständig ›beurlauben‹. Ich lasse mir nicht jedes Mal von Onkel Felix ein Attest ausstellen, wenn mir eine Sehne weh tut.« Das entspricht der Wahrheit. Nina tanzt mit verstauchten Knöcheln und verletzten Kniescheiben. Bei der letzten Vorstellung der vergangenen Ballettsaison ist sie mit einem gebrochenen Zeh aufgetreten – sie hat ihn mit Methylchloridvereist, fest verbunden und anschließend ein Ballett mit vier Akten ohne einen einzigen Fehler durchgetanzt.
    Veras Haltung hat sich verändert, sie sitzt nun steif aufgerichtet da. Aber für Nina gibt es kein Halten mehr: »Ich muss arbeiten. Ich kann mich nicht die ganze Zeit … in anderer Leute Angelegenheiten mischen. Und mich jedem dahergelaufenen Mann zur Prostitution anbieten.«
    »Ich prostituiere mich nicht!«
    »Wie nennst du es dann?« Nina richtet sich viel zu schnell auf, und in ihrem Kopf rauscht es.
    »Mich kümmern! Jemandem zu helfen versuchen! Nicht nur an mich selbst, sondern auch an andere denken!«
    »Ich denke auch an andere!« Die zwei schreien sich an wie alle anderen, sind keinen Deut besser als die furchtbaren Wohnungsnachbarn zu Hause, die immerzu

Weitere Kostenlose Bücher