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Die Tänzerin im Schnee - Roman

Die Tänzerin im Schnee - Roman

Titel: Die Tänzerin im Schnee - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Viktor zu Hause an ihrem Holztisch sitzend. Nina merkt sofort an der Art, wie er seine Kiefermuskulatur anspannt, dass etwas nicht stimmt. Er presst die Zähne zusammen, so dass Nina ihn fragen muss, weshalb er sie so ansieht.
    »Du hast versäumt, mir etwas zu erzählen. Es wird Zeit, dass wir darüber reden.«
    »Was meinst du?«
    Sein Blick ist schmerzerfüllt. »Anscheinend hattest du es diesen Sommer nicht nur aus Sorge um die Gesundheit deiner Mutter so eilig, nach Hause zu kommen.«
    »Natürlich war das der einzige Grund!«
    »Ach ja? Und du hattest nicht etwa selbst ein medizinisches Problem, um das du dich kümmern wolltest?«
    »Aber –« Woher könnte er das nur wissen? »Viktor.« Nina ist mit einem Mal erschöpft. »Es tut mir leid. Aber du musst wissen, dass das nicht der Grund dafür war, dass ich zurückgefahren bin. Ich musste wirklich für Mutter da sein. Aber ich hatte festgestellt, dass ich schwanger war, und musste mich eben auch darum kümmern –«
    »Interessante Wortwahl.«
    Nina lässt sich auf einen der Holzstühle fallen, zu müde, um etwas Geistreiches zu erwidern. »Lass uns nicht streiten. Du weißt, dass meine Mutter krank war. Ich habe dich nicht angelogen.«
    »Du hast aber auch nicht die Wahrheit gesagt. Ich musste erst warten, bis ich sie von meiner eigenen Mutter erfahren habe.«
    »Deine
Mutter
hat es dir erzählt?« Wut schäumt in ihr auf, und zugleich fragt sie sich, woher Madame das hat wissen können.
    Dann fällt es ihr ein. Vera.
    »Nina, warum hast du das getan?«
    Was sie als Nächstes flüsternd ausspricht, hat sie zuvor noch nie bewusst gedacht: »Wie könnte ich denn ein Kind in eine solche Welt setzen?«
    Viktor lehnt sich in seinem Stuhl zurück, als wollte er sie besser beobachten können. »Was soll das nun wieder heißen?«
    Diese Welt, in der Menschen, die man liebt, mitten in der Nacht abgeholt werden. In der sie ununterbrochen verfolgt werden und nicht heiraten können, wen sie wollen, und in der man sie um ihren guten Ruf und sogar um ihre Arbeit bringt. Sie sagt nur ein einziges Wort: »Gersch.«
    Viktor seufzt schmerzerfüllt auf. »Das ist nur vorübergehend. Eine unvermeidliche … Komplikation. Du weißt doch, wie es heißt: ›Wo gehobelt wird, da fallen Späne.‹ Das wird sich schon ändern, wenn erst mal alles so ist, wie es sein soll.«
    »Wie kannst du so etwas nur sagen? Ist Gersch etwa nur ein Stück Holz? Und Vera? Wie kannst du nur so etwas dermaßen –«
    »Natürlich sind sie das nicht. Ich wollte doch nur sagen, dass –«
    »Ach, hör auf!« Nina ist überrascht von ihrer eigenen Stimme. »Ich verstehe nicht, wie du daran festhalten kannst.« Als ob überall um sie herum gerade nicht die furchtbarsten Dinge passierten. Noch während sich der Gedanke in ihrem Kopf ausformuliert, fällt Nina zum ersten Mal auf, dass sie es tatsächlich so sieht und dass es der Wahrheit entspricht. Sie muss es schon eine Weile unterbewusst so empfunden haben – dass die ganze Zeit über schreckliche Dinge passieren, über die nie jemand auch nur ein Wort verliert.
    Ein Geräusch, die Sperrholztür geht auf. Madame starrt sie an: »Was soll diese Lautstärke? Seit wann ist das hier ein Wirtshaus?«
    »Alles in Ordnung, Mama«, erwidert Viktor müde. Nina würde am liebsten schreien. Wenn Madame Viktor nichts erzählt hätte, würden sie diese Unterhaltung überhaupt nicht führen. Alles nur, weil Madameden Mund nicht halten konnte. Madame, die alles tun würde, um Nina loszuwerden …
Du bist nicht Lilja
. Die der armen Darja befiehlt, nicht für Mutter mitzukochen … Nina den Bernsteinschmuck zeigt, um Viktors Überraschung zu ruinieren …
    Beim Gedanken an den Bernstein fragt sich Nina, ob Viktor den Schmuck etwa dafür aufbewahrt hat: Wartet er darauf, dass sie schwanger wird; hat er geplant, ihn ihr zu geben, wenn sie endlich ein Kind bekommen?
    »Genauso schlimm wie die Armenier.« Madame schüttelt den Kopf und verschwindet wieder in ihrem Zimmer.
    Ninas Zigarettenetui – in dem sie ein gefaltetes Taschentuch anstelle von Zigaretten aufbewahrt – liegt auf dem Tisch. Ohne nachzudenken, nimmt Nina es in die Hand und wirft es in Richtung der Tür. Es trifft allerdings die Wand daneben und landet mit einem erbärmlich leisen Knall auf dem Boden.
    »Ach, lass das doch«, fordert Viktor sie erschöpft auf. Er geht hinüber zum Bett und lässt sich schwer darauf hinabsinken.
    Nina zieht sich den Mantel wieder über, den sie gerade erst abgelegt

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