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Die Tänzerin im Schnee - Roman

Die Tänzerin im Schnee - Roman

Titel: Die Tänzerin im Schnee - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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einberufen, auf denen wir besprochen haben, was wir machen sollen, wenn diese Männer zurückkommen.
    Es hat zwei Jahre gedauert, aber dann waren sie wirklich wieder da, und diesmal befahlen sie uns, ihnen unser ganzes Korn zu übergeben, und dann auch noch die Tiere und die Maschinen. Wir haben gekämpft, das kannst du mir glauben, aber am Ende haben sie einfach unser Land konfisziert und uns weit hoch in den Norden verfrachtet. Mama und meine Brüder und ihre Familien durften zusammen losziehen, aber ich wurde gefangengenommen, weil ich der Haushaltsvorstand war und, nicht zu vergessen, ein gefährlicher konterrevolutionärer Aktivist.
    Mama ist auf dem Marsch gestorben. Weil Winter war, konnten sie ihr kein Grab schaufeln, aber als die Aufseher mitbekamen, dass sie nicht
mehr war, haben sie befohlen, sie wie einen Sack mit verfaulten Rüben am Straßenrand liegenzulassen. Meine Brüder erzählten mir das in einem Brief.
    Die Reise in den Norden war meine erste Zugfahrt. Es dauerte Wochen und Wochen, und dann wurde ich in ein Arbeitslager gesteckt, zusammen mit einem Haufen anderer, die auch als Kriminelle bezeichnet wurden. Musste mir dort eine Zelle mit einem Kerl namens Lew teilen, der war zwar nicht böse oder so, aber da hab ich gelernt, dass jemanden näher kennenlernen nicht bedeuten muss, dass man ihn auch mögen lernt. Dass wir in der Nähe von Finnland waren, fanden wir nur dadurch heraus, dass einige der Männer, mit denen wir zusammenarbeiteten, diese Sprache benutzten (deine Sprache, Elli).
     
    Grigori konnte seinen beschleunigten Herzschlag spüren und hatte außerdem diese andere, seltene und jedes Mal verblüffende Empfindung: die Gewissheit, dass er kurz vor einer Erkenntnis stand. Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Das Arbeitsessen begann in wenigen Minuten – doch es würde warten müssen.
     
    In dem Lager mussten wir in einer Mine arbeiten. Einer Bernsteinmine. Hab dort meine Tage in einer Grube verbracht, die dreißig Meter tief war und so groß, dass ein ganzes Dorf reingepasst hätte. Meine Aufgabe war, die sogenannte blaue Erde auszugraben, die eigentlich eher gräulich grün war. Krustiger Lehm wie auf den Straßen in meiner Heimat, wenn es lange geregnet hat. Und in dem grünlichen Grau befanden sich Bernsteinstücke wie Korinthen in Mamas Kuchenteig.
    Die meiste Zeit dort hab ich also mit Schaufeln verbracht. Eine Weile hab ich aber auch in der Waschanlage gearbeitet, wo man den Bernstein vom Lehm befreite, und das war gar nicht mal so schlecht. Hab da auch ein paar Freunde gewonnen, und auch wenn wir die meiste Zeit über krank und immer hungrig waren, hab ich mir Lieder ausgedacht und Witze erzählt, um uns bei Laune zu halten. Vielleicht gebe ich jetzt ein bisschen an, aber weißt du, wie sie mich genannt haben? Den Fröhlichen Zwangsarbeiter. Sie meinten, ich wäre verrückt, weil ich lachte, obwohl sie ja selbst lachen mussten, wenn ich erst mal in Fahrt war. Aber eigentlich erinnere ich mich nicht so gern an meine Zeit an diesem
Ort, also belassen wir es dabei, dass ich zwölf Jahre und ein halbes meines Lebens dort verbracht habe.
    Elli, da gibt’s noch was, was ich bei meiner Erzählung übersprungen habe. Bevor man uns von unserem Hof vertrieben hat, hatte ich nämlich schon eine Frau namens Mascha und eine Tochter namens Lisa, und die beiden blieben im Dorf, als ich wegmusste. Fünf Jahre später bekamen sie dann im Winter die Diphterie, und bald darauf waren sie nicht mehr. Auch wenn ich sie fünf Jahre nicht gesehen hatte, waren sie immer noch lebendig in meinem Kopf. Du siehst also, du warst wirklich ein Geschenk für mich, der nichts hatte, zu dem er zurückkehren konnte, weil ich alle verloren habe, sogar meine erste Tochter, die deine Schwester war, die du aber nie kennenlernen wirst, außer durch dieses Tagebuch, das ich für dich schreibe.
    Meine Brüder sind auch gestorben, an Erkältungen, die in die Lunge gewandert sind, wie es in den Briefen hieß. Jedenfalls gab es niemanden, zu dem ich nach Hause kommen konnte, als meine Zeit im Lager um war. Bin also mit einem der Finnen auf einen Zug gesprungen und damit so lange gefahren, wie es ging. Dann sind wir ausgestiegen und haben uns zu Fuß durchgeschlagen. Er hat mich über die Grenze gebracht, und dann bin ich eben einfach weitergewandert. Und als ich da so die schlammige Straße entlanglief, hab ich deine reizende Mama zum ersten Mal gesehen.
    Ich wollte dir das alles selbst erzählen. Aber ich bin oft

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