Die Tänzerin im Schnee - Roman
Entrinnen gibt – wie an jenem Tag das Sonnenlicht auf dem See, als wir uns alle nach dem Schutz der Bäume sehnten. Und du hattest Angst, der feuchte Boden würde auf deinem Rock Flecken hinterlassen. Ich kann die Fichtennadeln immer noch riechen, den Winter, der sich in ihnen versteckt, kühl und köstlich, das Schachbrettmuster, das der Schatten dieser Äste bildete. Manchmal glaube ich, dass wir überhaupt
nur für perfekte Tage wie diesen auf der Welt sind. Natürlich gab es den Fleck, den der Baumsaft auf deinem Rock hinterlassen hat. Dieses gelbbraune Harz, in Zeitlupe fließende Tränen, als würde der Baum selbst die Zukunft kennen.
Während das Segelohr weiterlas, lief Grigori mit klopfendem Herzen im Büro auf und ab.
»Faszinierend, ja«, sagte Segelohr, als er fertig gelesen hatte. »Aber warum glauben Sie, Viktor Elsin hätte das geschrieben?«
»Er hat den Brief signiert.«
Genau genommen stand »Dein und nur dein« unter dem Brief, aber Grigori hatte keine Mühe, einen Schritt weiter zu denken.
»Es steht kein Name darunter, Grigori. Der Brief könnte von sonst wem sein. Wir wissen ja nicht einmal, an wen er adressiert ist.«
»Na ja, an seine Frau«, sagte Grigori. »Die beiden haben einander oft Briefe geschrieben. Sie war häufig auf Tournee, und er ist auch viel gereist. Oft hielt er sich in seiner Hütte in Peredelkino auf.« Das Künstlerdorf unweit von Moskau; Grigori hatte das überprüft.
Segelohr nickte, runzelte aber die Stirn. »Bleibt immer noch das Problem, wie sich nachweisen lässt, dass Viktor Elsin diesen Brief geschrieben hat. So wie es aussieht, Grigori, hätte es auch jeder beliebige andere sein können.«
»Aber … meine Seminararbeit. Da geht es doch genau darum. Ich habe nachgewiesen, dass genau die Motive, die er im Brief beschreibt, auch in den Gedichten vorkommen!«
»Weil Sie nach den Motiven gesucht haben, Grigori. Wissen Sie, es ist nicht schwer, Parallelen zu finden, wenn man fest davon ausgeht, dass sie da sind. Mit ein paar ähnlichen Worten und Formulierungen können Sie nicht nachweisen, dass es tatsächlich um exakt dieselben Motive geht. Oder dass sich nicht jemand ganz einfach an Elsins Werk bedient hat.« Er seufzte, tief und ungeduldig.
Grigori schloss die Augen. Vielleicht, wenn er sie wieder öffnete … »Aber …«
»Wie, sagten Sie, sind Sie zu diesem Brief gekommen? Dies ist eine Fotokopie, wie ich sehe. Hat Ihnen jemand gesagt, dass der Text von Viktor Elsin stammt?«
»Das habe ich selbst herausgefunden.« Aber Grigoris Stimme klang eher verletzt als stolz.
»Wie haben Sie das herausgefunden?«
»Er hat seiner Frau gehört, und dann …«
»Wirklich? Na, das ist mal ein guter, konkreter Anhaltspunkt. Wenn Sie von ihr eine Art Bescheinigung bekommen könnten …«
»Nein, ich fürchte, nicht.«
Segelohr schnitt eine Grimasse. Es war dieselbe, die Grigori wieder und wieder begegnen sollte, jahrelang, wann immer ihn die nächste Enttäuschung erwartete: Er ließ in gekünstelter Trauer die Augenbrauen hängen und schürzte abschätzig den Mund, wie man es vielleicht einem kleinen Kind gegenüber tat, das einen rührenden Fehler begangen hatte.
»Grigori.« Er schüttelte den Kopf. »Ohne Beweise könnte der Brief von sonst wem geschrieben sein, von jedem. Mein Onkel Wassili könnte ihn verfasst haben! Oder eine unbekannte alte Dame. Wir wissen ja nicht mal, was zuerst da war, die Gedichte oder der Brief. Vielleicht hat jemand einfach Elsins Gedichte gelesen und ein paar Motive ausgeborgt.« Als er sah, wie Grigori den Kopf hängenließ, fügte er hinzu: »Hören Sie, Grigori, Ihre Seminararbeit ist sehr gut. Ein Musterbeispiel gelungener, klar durchgeführter Textanalyse. Ich habe sie mit einer Eins bewertet.«
In Grigori begann es zu kochen. Mit einer Eins? Was, um alles in der Welt, sollte ihm das nützen?
»Also«, fuhr Segelohr fort, »lassen Sie mich Ihnen zu einer sehr gelungenen Arbeit gratulieren. Ich würde Ihnen aber empfehlen, es dabei zu belassen. Jedenfalls so lange, bis Sie etwas konkretere Hinweise auf die Herkunft dieses wirklich sehr interessanten Dokuments in der Hand haben.«
Grigori hatte die Seminararbeit später entsorgt, in dem stinkenden Mülleimer voller leerer Dosen von den Fertiggerichten, die sein Flurnachbar immer aß.
Aber der Brief bedeutete ihm, ebenso wie der zweite, dazugehörige, immer noch genauso viel wie zuvor, selbst die Passagen, die mit den Gedichten nichts zu tun hatten.
Manchmal
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