Die Tänzerin von Darkover - 9
aufrichtig, warum Sie das getan haben. Und zwar nicht unbeabsichtigt, sondern willentlich. Wollten Sie unbedingt zeigen, daß Sie selbst auf diesem Gebiet der ehrwürdigen Tradition das Alte verbessern können? Denn ich gebe zu: Sie haben es verbessert. Aber war es all die unnötigen Schmerzen, die Sie uns damit zugefügt haben, wert? Nur um das zu beweisen …?«
»Was kümmert Sie das?«
»Ich möchte Sie nur – verstehen …«
Ihre geröteten Augen blickten zu ihm auf. »Gut, dann werde ich es Ihnen sagen, Dom …« Sie hielt kurz inne. »Ich wollte den Schwerttanz heute nicht tanzen. Zugegeben, als Künstlerin, die ihre Kunst liebt, hätte ich es gerne getan. Aber ich wußte auch ganz genau, was es für euch bedeuten würde! Nur was mein Bruder Endreas mir sagte, zwang mich dazu. Er konnte nicht tanzen, er ist krank.«
»Und wenn schon? Ein anderer aus Thendara hätte an seiner Stelle tanzen können. Ein Mann, wie es sich gehört. Jedenfalls nicht Sie!
Oder schlimmstenfalls hätte man es absagen müssen – auch das ist schon vorgekommen.«
»Nein!« unterbrach sie ihn eilig. »Begreifen Sie denn nicht, was ich Ihnen zu sagen versuche? Der Tanz an sich war gar nicht so wichtig, sondern vielmehr die Frage, ob ich das tun konnte, was getan werden mußte. Ich spreche von eben jener Tradition, die Sie so hochhalten! Sie sollte nicht unterbrochen werden. Andere hätten vielleicht die Vorstellung abgesagt. Aber ich wollte unbedingt etwas wahrhaft Darkovanisches vollbringen, wollte wenigstens dieses eine mal darkovanischer sein, als ich es in meiner Position als Comynara je sein könnte. Denn trotz meines Blutes halten sie mich für keine echte Darkovanerin. Indem ich tat, was ich tat, indem ich mehr tat, als mir zusteht, konnte ich mir selber beweisen, wer ich wirklich bin: als Comyn, als Terranerin – als Mensch.«
Ruyven hatte ihr ruhig und aufmerksam zugehört. »An dem Tag, als sie den Aillard-Eid ablegten, hatte ich im Rat etwas gesagt, dessen Bedeutung mir erst jetzt richtig bewußt wird. Ich habe gesagt, daß ein verlorener Sohn oder eine verlorene Tochter die Sprache der Eltern noch können muß, um wieder aufgenommen zu werden.«
»Und verstehen Sie als Comyn die Sprache, die ich spreche?«
flüsterte sie und blickte ihm dabei in die Augen. »Ich bin die verlorene Tochter, die zurückkehrt, um Anspruch auf mein Geburtsrecht zu erheben. Nicht um Aillard zu regieren, sondern um zu dienen, wie ich es muß. Ich bin zurückgekehrt und habe neben meinem alten Erbe ein neues und anderes mitgebracht. Beide vermischen sich, und mit beiden spreche ich zu Ihnen. Und ich frage Sie: Können Sie mich verstehen?«
Regis Hastur war nicht schlecht erstaunt, als Alessandra Kyrielle Aillard, die designierte Erbin der Domäne, nach Mitternacht den Ballsaal wieder betrat. Korrekt gekleidet und frisiert ließ ihre Erscheinung nichts zu wünschen übrig, Ihre grün schimmernden Augen blickten ruhig und hochmütig umher, als ob nichts vorgefallen wäre. Und doch lag in diesen Augen auch ein neuer Ausdruck.
Noch viel erstaunlicher war aber die Tatsache, daß die Comyn bei ihrer Rückkehr nicht sofort das übliche Protestgeschrei anstimmten, das Regis nur allzu sehr gewohnt war. Sollte sich tatsächlich ein Stimmungsumschwung eingestellt haben? War es überhaupt denkbar, daß die Comyn gelernt hatten zu verzeihen? Natürlich gab es einige, die ungläubig auf Alessa deuteten und über das Ausmaß ihrer Unverfrorenheit tuschelten. Andere aber nickten ihr sogar anerkennend zu.
Regis mußte bei aller heimlichen Sympathie ihr gegenüber zumindestens den Anschein der Strenge wahren. Dennoch ging er zu ihr hinüber und befragte sie freundlich. Auch Dan Lawton war ganz in der Nähe. Der Legat brannte darauf, endlich zu erfahren, was hinter dem ganzen Verwirrspiel steckte. Wieder irgend welche politischen Winkelzüge?
Im Ballsaal befanden sich auch einige unauffällige Beobachter, sofern man bei einem ganzen Reporterteam aus Terra inmitten einer urdarkovanischen Veranstaltung von unauffällig sprechen kann.
Zumindest hatten sie ihre Videoausrüstung ausgezeichnet getarnt.
Sie hatten beide Tänze aufgezeichnet, und das Bildmaterial wurde bereits bearbeitet, um dann intergalaktisch ausgestrahlt zu werden
…Die Comyn nahmen zur Kenntnis, daß Hastur Alessandras Anwesenheit trotz der Vorkommnisse billigte. Aber richtig überrascht waren sie alle, als der zweite Sohn Di Asturien, der die alten Sitten so hoch achtete, diesen
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