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Die Täuschung

Die Täuschung

Titel: Die Täuschung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Caleb Carr
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Jahren Tausende von Fossilien ausgegraben hätten, so könnten diese nach wie vor keinen absolut unwiderleglichen Beweis für die Evolution des Menschen liefern. Und was das Forrester-Material anbelange, so seien die Menschen schließlich schon immer bereit gewesen, islamischen Terroristen so gut wie alles in die Schuhe zu schieben. Deshalb wollten wir unseren Plan zuallererst einmal auf eine sichere historische Grundlage stellen, um uns diese Macht der Glaubwürdigkeit ebenfalls zunutze zu machen.
    Die anderen nahmen das alles kommentarlos hin. Nun wurde die Sache ein bisschen kniffliger. Ich verkündete, Colonel Slayton und ich wollten als Ausgangspunkt die Ermordung George Washingtons benutzen. Die ausdruckslosen Mienen, mit denen diese Feststellung zur Kenntnis genommen wurde, besagten eindeutig, dass unsere Kollegen entweder nicht wussten, dass Washington ermordet worden war, oder dass sie den Hergang vergessen hatten. Ich erklärte, ihre Wissenslücke sei durchaus verständlich, da der Mord ein hässliches Kapitel der amerikanischen Geschichte gewesen sei, das für gewöhnlich unter irgendeinen kollektiven psychologischen Teppich gekehrt werde. Aber ja, fuhr ich fort, Washington sei in der Tat ermordet worden: Er habe sich eine Halsinfektion zugezogen, für die mehrere Ärzte einen Aderlass verschrieben hätten. Diese Ärzte seien jedoch insgeheim von einer Gruppe von Geschäftsleuten und Politikern bestochen worden – darunter mehrere der anderen Gründerväter –, denen daran gelegen gewesen sei, dass der Landesvater ein für alle Mal den Mund hielt. Washington habe in den letzten Monaten seines Lebens erkannt, in welchem Ausmaß die den Kinderschuhen entwachsenden Vereinigten Staaten an die Klassen der Begüterten und der Kaufleute verschachert worden seien, und sich darüber äußern wollen – in aller Öffentlichkeit. Aber die herrschenden Mächte, die den heutigen herrschenden Mächten auf erstaunliche Weise glichen, hätten das nicht geduldet. Die Folge: Ermordung durch Aderlass.
    Fouché reagierte auf diese Geschichte, indem er erklärte, dieses Ereignis scheine ihm eine ausgezeichnete Grundlage für eine weitere Falschmeldung darzustellen, da es den Entstehungsmoment der Vereinigten Staaten betreffe und zugleich ungeheueres Potenzial für Kontroversen biete. Aber welche Fälschung, fragte er, wollten wir nun um diese Geschichte herum bauen? In diesem Moment mussten wir die Karten auf den Tisch legen: Die Geschichte war der Coup. Slayton und ich waren zu dem Schluss gekommen, dass Washingtons Ermordung durch korrupte, vom großen Geld bezahlte Politiker zwar sicherlich eine passende Parallele zum gegenwärtigen Zustand der Vereinigten Staaten darstellte, aber keine Basis in den historischen Tatsachen hatte. Ein kurzes Schweigen schloss sich an; dann brach der ganze Tisch in schallendes Gelächter und gespielte Entrüstung aus, gefolgt von lautstarkem Applaus. Larissa, die sich nicht gern verblüffen ließ, erklärte, sie habe die ganze Zeit gewusst, dass ich log; aber sie hielt diese Behauptung nicht lange aufrecht, und als sich alle wieder beruhigt hatten, erörterten wir, warum die Idee solches Potenzial hatte.
    Wenn wir einen Schlag gegen den Glauben an die moralische Sonderstellung Amerikas führen wollten, hatte es zunächst einmal keinen Sinn, eine Falschmeldung zu verbreiten, die heutige amerikanische Führer betraf. Die Bürger der Vereinigten Staaten hatten ihre nationalen und lokalen Vertreter schon längst als »bezahlte Diener der Unternehmerklasse« erkannt, wie Slayton sie nannte, und jeder Versuch, eine umfassende weltanschauliche Krise auszulösen, indem man solchen Leuten niederträchtige und korrupte Motive und Handlungen zuschrieb, war zum Scheitern verurteilt. Andererseits konnten wir uns in Anbetracht der geringen Wertschätzung, die historische Themen in der breiten Öffentlichkeit genossen, auch nicht auf allzu unbekannte Tatsachen und Persönlichkeiten beziehen. Doch obwohl die meisten Menschen vielleicht nicht angeben konnten, wann oder wie die Vereinigten Staaten entstanden waren, hegte die überwältigende Mehrheit immer noch die vage, aber elementare Vorstellung, ihre Geburt sei etwas Gutes gewesen, das offen und ehrlich errungen worden war – mit George Washington an der Spitze. Wenn man sich nun die Methoden der Regenbogenpresse zu Eigen machte und dreist mit diesen Vorstellungen spielte, konnte es durchaus sein, dass der daraus resultierende Skandal die Aufmerksamkeit

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