Die Tarotspielerin: Erster Band der Tarot-Trilogie (German Edition)
Weib ist wahnsinnig«, unterbrach Aleander ihren Redestrom, doch Sidonia fuhr fort. »Oh ja, ich war wahnsinnig. Ich gab mich diesem Mönch hin, aber schließlich erkannte ich meine Verblendung. Ich sah, dass er ein Jünger Satans ist, der den einzigen Menschen verdirbt, der uns retten kann. Padre Fadrique. Schont Padre Fadrique! Ihr wisst, dass er ein Heiliger ist. Das Volk weiß es.«
Sie sprang auf und rief »¡Viva el eremito del sangre! ¡Viva!«
Vereinzelte Stimmen wiederholten den Ruf. Ein Soldat streckte Sidonia mit der Faust nieder.
Aleander lachte. »Da habt Ihr es. Sie ist eine Hexe, Euer erzbischöfliche Gnaden. Was sie gerade gesagt hat, macht einen Prozess gewiss überflüssig.«
»Aber im Gegenteil«, protestierte der Bischof. »Im Gegenteil. Wir müssen diese Verdächtigungen aus der Welt räumen. Schon in deinem Interesse.«
Aleander zog die benommene Sidonia in die Höhe. »Wie Ihr meint. Dann werde ich sie mit Vergnügen persönlich dem Verhör unterziehen. Aber erst nachdem wir die heutigen Verbrennungen vollendet haben.«
Ohne auf die Pfiffe der Schaulustigen zu achten, stieg er von der Tribüne herab, griff nach der Fackel des Henkers und hielt sie an das Reisig von Corrianos Scheiterhaufen. Knisternd züngelten Flammen nach oben. Befriedigt wandte der Mönch sich um und suchte das Gesicht des Bischofs. Es war aschfahl. Dann schritt Aleander mit pompöser Feierlichkeit zu dem Karren, an dem Fadrique angebunden war. Man löste die Stricke. Aleander trat dicht an den Padre heran.
»Nun, hast du noch etwas zu sagen?«
Fadrique schwieg.
»Du bist doch sonst so geschwätzig, alter Mann. Willst du keine Predigt halten?«
Der Padre wandte sich ab und begann die Treppe zu seinem Scheiterhaufen hinaufzusteigen. Man sah, dass er sich quälen musste. Sein verwundeter Arm bereitete ihm Schmerzen. Ein Henkersknecht ließ seine Peitsche auf Fadriques Rücken niedersausen. Der Padre ging in die Knie, rutschte ein paar Stufen hinunter, richtete sich mühselig auf und trat seinen Weg erneut an. Er stolperte. Wieder hob der Knecht die Peitsche. Aleander bedeutete ihm, sie zu senken.
Das Bild des sich quälenden Padres beeindruckte das Volk ohnehin genug. Fadrique hatte die klügste Art zu sterben gewählt – als leidende Kreatur! Als Mensch. So wie Jesus am Kreuz seine Leiden nicht verhehlt hatte, trat auch er den letzten Weg voller Schmerzen an. Ein Mann des Volkes, einer aus ihrer Mitte, einer, der ihre Qualen kannte und auf sich nahm. Ihn weiter zu züchtigen hätte das ärgerliche Mitgefühl der Massen verstärkt.
Der Henker band ihn am Kreuz fest, und zornig hielt Aleander seine Fackel in den Holzhaufen. Hoch schössen die Flammen empor, ihr Rasen und Knattern übertönte die Seufzer der Umstehenden und mischte sich mit den Hilfeschreien Corrianos.
Niemand achtete auf das knatternde Geräusch, das sich von oben näherte. Es klang wie der Flügelschlag eines riesigen Vogels. Aleanders Gesicht war gebannt auf die Flammen gerichtet. Sie würden ihn befreien, endgültig befreien von den Schatten der Vergangenheit. Diese Flammen waren das Licht der Wahrheit. Der göttlichen Wahrheit, seiner Wahrheit. Er lachte und senkte die Fackel erneut und entzündete den Scheiterhaufen, über dem Gabriel Zimenes’ Puppe am Kreuz hing. Das Tosen der Flammen verstärkte sich. Doch Fadrique hätte nicht stiller sein können als die Puppe neben ihm. Das Volk begann wie unter Schmerzen zu seufzen. Fadrique richtete seinen Blick zum Himmel. Hell leuchtete sein Gesicht im Widerschein des Feuers. Jeder auf dem Platz sah, dass er lächelte.
Ehrfürchtig hob die Menge die Köpfe, starrte in den Himmel. Und alle sahen die flatternden Schwingen eines Vogels, der vom Dach der Kathedrale hinabschoss. Oder war es ein Drachen? War es einer der Wasserspeier mit Fratzengesicht?
Das Fabelwesen drehte einige Kreise über der Richtstätte, taumelte, schien zu fallen, fing sich wieder und stieß direkt auf die Scheiterhaufen hinab. Die Schwingen des Ungetüms fingen Feuer, doch die Geschwindigkeit seines Fluges verminderte sich nicht. Es sauste an Fadriques Kopf vorbei direkt auf den Dominikaner zu.
14
Wie gelähmt sah Aleander den Vogel auf sich zurasen und erkannte, dass sein Schnabel aus Stahl war. In Panik ließ er die Fackel fallen und fühlte plötzlich eine große Hitze um seine Beine. Seine Kutte fing Feuer. Dann spürte er den stechenden Schmerz, mit dem sich der Stahl des Schnabels zwischen seine Rippen bohrte und ihm
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