Die Terranauten 042 - Der Sammler
Suzanne Oh konnte noch einen gellenden Schrei ausstoßen, bevor sie in tiefe Bewußtlosigkeit versank.
Suzannes Aufschrei dröhnte aus dem übersteuerten Lautsprecher der Mithöranlage und zerriß dem jungen Techniker fast die Trommelfelle.
Dann herrschte absolute Stille.
Langsam breitete der schwarze Vogel seine Schwingen aus und erhob sich in die Luft. Sein Programm sah vor, daß er jeweils zu der Seerosenqualle überwechselte, auf der gerade gesprochen wurde.
Automatisch aktivierte sich das Richtmikrophon, das sich im Kopf des Robot-Spions befand. Der schwarze Vogel »lauschte« hinüber zu der anderen Seerosenqualle.
Aber auch dort war alles still. Nichts regte sich.
Das winzige Positronengehirn im Bauch des Vogels begann zu arbeiten. Eine Entscheidung mußte getroffen werden.
Auf keiner der beiden Seerosenquallen fand derzeit ein Gespräch statt. Wie sollte der Robot-Spion sich in so einer Situation verhalten?
Das für die Abhörtätigkeit zuständige Primärprogramm sah für diesen ungewöhnlichen Fall keine zwingende Handlungsalternative vor. Und darum sprang eines der zahlreichen Sekundärprogramme ein, die den Normalbetrieb und die Selbsterhaltungs- und Effektivitätsfunktionen des Robot-Spions regelten.
Kleinere Beobachtungseinheiten wie etwa der als Vogel getarnte Robot-Spion verfügten nicht über unbegrenzte Energiemengen und waren zudem sehr störanfällig. Um eine größtmögliche Effektivität zu erzielen, mußte der Roboter jeden unnötigen Energieaufwand und jeden überflüssigen Verschleiß verhindern.
Den Sekundärprogrammen zufolge war es daher nur sinnvoll, daß der Roboter dort blieb, wo er sich jetzt aufhielt. Eine einfache Landung kostete weniger Energie als ein Flug hinüber zu der anderen Seerosenqualle.
Also landete der Vogel wieder und schaltete sich auf Stand-by-Betrieb. Sobald Suzanne Oh, Aschan Herib oder Onnegart Vangralen auch nur ein Wort sprachen, würde er sofort vom Primärprogramm wieder reaktiviert werden.
Vom Standpunkt der Programmlogik war diese Entscheidung sicherlich richtig.
Unter anderen, übergreifenden Gesichtspunkten war sie jedoch grundfalsch. Aber das zu beurteilen, lag eben nicht im Kompetenzbereich des vergleichsweise einfachen Programmschemas, über das der Vogel nur verfügte.
Natürlich hätte der Techniker in der Geheimstation die Sekundärprogramme außer Kraft setzen und den Vogel veranlassen können, doch zur anderen Seerosenqualle überzuwechseln. In gewisser Weise befand sich der Techniker jedoch in genau dem gleichen Dilemma wie der Robot-Spion. Da er einzig und allein auf die Daten angewiesen war, die er über das akustische System der Beobachtungseinheit erhielt, fehlten auch ihm die notwendigen Voraussetzungen für eine kompetente Alternativentscheidung.
Schließlich wußte er nicht einmal, warum Suzanne Oh denn nun diesen entsetzlichen Schrei ausgestoßen hatte.
Und wie hätte er ahnen können, daß die Traumhaken in perfekter Abstimmung völlig gleichzeitig beide Seerosenquallen angegriffen hatten – und daß sie damit einen ganz bestimmten Zweck verfolgten?
Die Seerosenqualle, auf der sich Suzanne Oh, Aschan Herib, Onnegart Vangralen und der halb desaktivierte Vogel befanden, bewegte sich mit gleichmäßiger Geschwindigkeit weiter nach Süden, ihrem von Aschan Herib vorprogrammierten Ziel entgegen.
Die andere Seerosenqualle jedoch wich langsam von ihrem bisherigen Kurs ab und glitt nach Osten. Die Entfernung zwischen den beiden organischen Booten nahm kontinuierlich weiter zu.
Von alldem ahnten weder die bewußtlosen Menschen an Bord der Seerosenquallen noch der Techniker in der Geheimstation etwas.
Der hochspezialisierte Robot-Spion registrierte nicht einmal, daß nach einer Weile dichter Nebel aufkam und die beiden Seerosenquallen einhüllte. Zu diesem Zeitpunkt waren sie allerdings schon so weit auseinandergedriftet, daß ohnehin kein Blickkontakt mehr bestand.
Und die Traumhaken, die sonst kein organisches Wesen länger als höchstens fünf Minuten befielen, wichen trotzdem nicht von ihren Opfern.
Stunden verstrichen.
Der Techniker wurde immer nervöser. Aus dem Lautsprecher der Mithöranlage ertönte kein Geräusch außer dem monotonen Rauschen des Ozeans.
Dann aber …
*
Als Suzanne Oh erwachte, konnte sie kaum mehr die Hand vor Augen sehen, so dicht war der Nebel inzwischen geworden.
Zuerst stellte sie fest, daß sie hundserbärmlich fror. Mühsam reckte sie ihre vor Kälte steifen Glieder und stieß einen
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