Die Terranauten TB 02 - Der grüne Phönix
ihrerseits auf den Pflanzenriesen unmöglich machte.
Eine Gestalt tauchte vor ihr auf, unsicher taumelnd, mit geneigtem Kopf.
»Silvann …!«
Er sah auf. Und direkt hinter ihm trat eine zweite Gestalt aus einem Nebengang. Eine Frau mit langen, feuerroten Haaren. Chan de Nouille.
Die Herrin der Grauen Garden reagierte unglaublich schnell. Einen Sekundenbruchteil nur … und der Laser spuckte einen gleißenden Energieblitz in ihre Richtung. Genau in diesem Augenblick stolperte Silvann. Der Strahlfunke erfaßte ihn auf der Brust und löschte sein Leben aus.
In Merina DeNeuven verkrampfte sich etwas. Sie öffnete ihre PSI-Sinne, und der Glanz der Mistel intensivierte sich rapide. Es warf Chan de Nouille von den Beinen, und der zweite Strahlblitz aus ihrem Laser brannte eine Wunde in die organische Decke des Korridors.
Der Gang zog sich langsam zusammen.
Merina eilte weiter, blickte kurz in die grünen Augen Chans und war dann an ihr vorbei. Ihre mentalen Arme fesselten die Herrin der Grauen Garden noch immer an die Wand.
Fort. Rasch fort.
Merina weinte noch immer. Lautlos.
Durch einen weiteren Gang, wieder der Außenzone Suslats entgegen.
»Hilf mir. Heim«, flüsterte sie. »Bitte. Hilf mir.«
Dann endlich erreichte sie eine Kalbungskaverne, in der ein einzelner Gewebekubus wuchs – das potentielle quasiintelligente Steuerzentrum einer Tochterkalbung des Organseglers. Merina spürte, wie die psionischen Sinne des Grünen Phönix erneut nach ihr griffen, doch die Kraft glitt an dem Glanz der Mistel ab. Sie war geschützt. Noch.
Merina berührte Knospen, und Suslat begann zu kalben. Eine rochenförmige Kleinausgabe des Organseglers selbst bildete sich.
Aus den Augenwinkeln nahm Merina eine Bewegung wahr. Eine andere Gestalt hatte die Kalbungskaverne betreten. Eine junge Frau von gut zwanzig Jahren. Langes, weit den Rücken hinabreichendes schwarzes Haar. Große kastanienfarbene Augen. Ein schmales, zierlich wirkendes Gesicht. Die Frau war nackt. Die Brüste waren klein und fest, die Hüften jungenhaft schmal.
Merina konnte sich plötzlich nicht mehr bewegen. Ihr Blick klebte an der anderen Frau, und sie hatte den Eindruck, in einen Spiegel zu sehen. Sie war es selbst:
Merina DeNeuven.
»Du willst fliehen«, sagte die zweite Merina, aber es war die Stimme des Grünen Phönix: rauh, scharf, dunkel. »Du bist vor mir geschützt, nicht aber vor dir selbst. Du wirst dich selbst besiegen müssen, soll deine Flucht gelingen. Und dazu bist du nicht in der Lage.«
Merinas Spiegelbild kam näher und streckte die Arme aus. Winzige Irrlichter lösten sich von ihren Fingerkuppen, formten einen Schwarm und trieben ihr entgegen.
*
Es war kalt.
Asen-Ger blieb stehen und legte den Kopf in den Nacken. Die Sterne waren nur undeutlich zu erkennen: ein wenig verschwommen, ihr Licht gefiltert und verzerrt, gänzlich unsichtbar, wenn sich eine der dunstigen Wolkenbänke des Luftmeeres vor sie schob.
»Eine seltsame Welt«, sagte Piter VanLoren und schüttelte sich. »Und ein seltsamer Ort für eine Friedenskonferenz.«
»Wieso?« fragte Narda. Sie setzten sich wieder in Bewegung und schritten über Stufen, die in den Fels des Berggipfels hineingemeißelt waren. Diese Treppe war fast zweihundert Jahre alt. »Nebbia ist so gut wie jeder andere neutrale Planet. Vielleicht sogar besser. Er beweist, daß man auch ohne Technik auskommen und leben kann. Er beweist, was Anpassung zu leisten vermag.«
»Er beweist auch«, sagte Piter VanLoren, »daß eine Biotechnologisierung nicht notwendig ist, um unabhängig zu sein und ein gutes Leben zu führen.«
»Kommt«, unterbrach Asen-Ger die fruchtlose Diskussion. »Verlieren wir nicht noch mehr Zeit.« Der alte Terranautenführer mit dem langen weißen Haar schritt weiter die Stufen hinab. Sie waren mit einem dünnen Feuchtigkeitsfilm besetzt, vom Nebel verursacht. Weiter unten lagen die dichteren und für Menschen giftigen Wolkenbänke des Luftmeeres: weißgrau, aus dieser Höhe wie Watte wirkend. Nur die Gipfel der höchsten Berge ragten über diese Giftschicht hinaus. Und nur hier konnten Menschen leben. Weiter unten stieg der Druck enorm an, und irgendwo dicht über der eigentlichen Oberfläche Nebbias mußte er so hoch sein, daß sich die Atmosphäre verflüssigte. Dünne Linien zogen sich von Gipfel zu Gipfel und überbrückten die Wolkenbänke, ohne sie zu berühren: Hängebrücken aus elastischem Protop und Fasern, die aus den Knochenbäumen Nebbias gewonnen
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