Die Teufelssonate
sie kenne. Aber ich komme nicht darauf, woher.«
»Franz Liszt, oder? Hat das der Typ nicht gesagt?«
Die Vorstellung, daß Liszt ein solches Werk geschrieben haben soll, kam Notovich vertraut vor. Und doch konnte der Mann im Publikum es fast nicht gesagt haben. Liszt hatte sehr viel komponiert, und viele seiner Stücke verwiesen auf den Tod, den Teufel oder die Hölle: die Faust-Sinfonie , die Mephisto-Walzer , eine Mephisto-Polka , der Totentanz und eine Reihe von Kompositionen, die durch das Werk Dantes angeregt waren. Aber eine Teufelssonate war nicht dabei.
Die Legende von der Teufelssonate war mit Guiseppe Tartini verbunden, einem Komponisten aus dem 18. Jahrhundert, der seiner Zeit weit voraus war. Tartini behauptete, er habe in einem Traum dem Teufel seine Seele verkauft, im Tausch dafür habe dieser ihn zu seinem allerbesten Werk inspiriert: der Teufelssonate , einer Komposition für Violine mit nahezu unvergleichlichem Tiefgang und hohem Schwierigkeitsgrad. Von Liszt war solch eine Geschichte nicht bekannt. Zumindest nicht in den offiziellen Biographien.
Es war ein bizarrer Zufall, daß jemand genau die Melodie gesummt hatte, die Notovich in seinem Traum gehört hatte. Es war, als ob das Schicksal ihm etwas einzuflüstern versuchte. Er mußte diese Woche in der Bibliothek des Konservatoriums nachforschen, was die Literatur über eine Teufelssonate von Liszt sagte.
Er sank tiefer in seinen Sitz, schloß die Augen und spürte, wie die Müdigkeit langsam zurückkehrte. Er fühlte sich leer, aber es machte ihm nichts aus. Der Kontakt zu den Studenten, die Wärme des Publikums und die Musik hatten ihm gutgetan. Heute morgen hatte er noch befürchtet, er würde nicht genug Energie haben, um in ein Auto zu steigen, doch kaum hatte er den Saal betreten, waren alle Ängste verflogen. Dumm, daß er bei dem Gequengel um eine Improvisation so abgeblockt hatte. Sie würden wohl wieder denken, daß der exzentrische Notovich sich keinen Deut geändert habe.
»Bröll?«
»Spucks aus, alter Junge.«
»Es tut mir leid.«
»Was?«
»Na einfach … alles.«
Bröll nickte, als ob er es verstehe, als ob sie über diese Dinge nicht zu reden brauchten, weil sie sich untrüglich in den anderen einfühlen konnten. Wie Männer, die zusammen in einem Krieg gekämpft hatten, dessen einzige Überlebende sie waren. Und irgendwie war es auch so. Notovich lebte noch, und zum ersten Mal seit langem schreckte ihn dieser Gedanke nicht ab. Vielleicht hatte Nicole doch recht, vielleicht war das jetzt der Moment.
Aber als sie zu Hause ankamen, war seine Stimmung bereits wieder umgeschlagen. Er hatte fast nicht die Kraft, den Schlüssel ins Türschloß zu stecken. Er wollte nicht hinein. Es war, als würde seine ganze Verzweiflung dort auf ihn warten. Er fragte, ob Bröll noch etwas trinken wolle, auch wenn wahrscheinlich nichts da war. Bröll hatte noch ein bißchen Zeit (die hatte er meistens).
Auf der Fußmatte lag ein teuer aussehender Umschlag.
Notovich schätzte das Gewicht. Schweres Material. Sein Name war mit der Hand geschrieben, in altmodischen Schnörkeln, als ob der Brief aus dem 19. Jahrhundert stamme. Von ungeöffneten Briefen ging immer eine Bedrohung aus, fand Notovich.
»Hast du jemandem meine Adresse gegeben?«
»Natürlich nicht.«
Er riß den Umschlag auf. Es war eine Einladung, aber die merkwürdigste, die er je gesehen hatte:
Wir laden Sie zu einem einmaligen, geschlossenen Konzert ein.
Programm
Sonate in h-moll – Franz Liszt
Années de Pèlerinage – Franz Liszt
Après une lecture du Dante – Franz Liszt
Beginn 20.00 Uhr
Großer Saal des Concertgebouws
Heute abend
Diese Einladung ist streng persönlich.
»Die haben Nerven«, sagte Bröll erstaunt. »Der Auftritt ist bereits heute abend, und es steht nicht einmal dabei, wer der Pianist ist. Hast du das schon mal erlebt? Ob das ein Trick ist, um einen unbekannten Pianisten zu promoten?«
Notovich schwieg.
»Das muß fast so sein«, fuhr Bröll fort. »Andererseits, es ist schon ein irre schweres Programm für einen Debütanten. Kein Stückchen Scarlatti oder Chopin dabei, sehr gewagt. Oder sehr dumm, natürlich. Gibt es andere Pianisten, die dahinterstecken könnten? Ein etablierter Name, der einfach Lust auf ein Konzert vor ein paar Connaisseurs hat, ohne Topfgucker?« Er schwieg aufgeregt, während er in Gedanken alle Pianisten durchzugehen schien, die er kannte. »Nein, es ist bestimmt ein billiger Trick«,
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