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Die Tibeterin

Die Tibeterin

Titel: Die Tibeterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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läßt. Die Führer in Beijin betreiben beflissen Augenwischerei. Diese Informationen könnten bei gewissen Nachbarländern Chinas ein Frösteln hervorrufen.«
    »Wem willst du sie verkaufen, Atan?«
    Er lachte leise vor sich hin.
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    »Verkaufen? Ich war einmal sehr, sehr nahe daran. Aber ich halte lieber an meinen Grundsätzen fest. So denke ich, daß Seine Heiligkeit für die Karte Verwertung hätte. Er ist in erster Linie Mönch, und für ihn kommt nur der gewaltlose Weg in Frage. Aber Gewaltlosigkeit, mit einleuchtenden Druckmitteln verstärkt, kann eine Supermacht an den Verhandlungstisch zwingen. Dafür gibt es Beispiele in der Geschichte.«
    »Du hast diese Informationen für den Dalai Lama zusammengetragen?«
    »Ich hoffe bloß, daß er mir keine Moralpredigt hält.«
    »Weiß er davon?«
    »Noch nicht.«
    Ich starrte ihn an. Ich konnte es immer noch nicht fassen.
    »Glaubst du wirklich, daß du etwas bewirken kannst?«
    »Mir ist es sogar schrecklich ernst damit. Seine Heiligkeit hat den Traum, Tibet in einen Ort des Friedens umzuwandeln, in dem Menschen und Natur in Harmonie leben. Ihm schwebt ein kreatives Zentrum für die Förderung und Entwicklung des Friedens vor. Er wünscht sich, die tibetische Hochebene in den größten Naturpark, die größte Biosphäre der Welt zu verwandeln. Das jedenfalls sagte er 1989 in Oslo, und die ganze Welt hörte zu. Die Vision eines Utopisten? Vielleicht. Ich war lange genug Realist. Jetzt habe ich die Nase voll und möchte an ein paar verrückte Sachen glauben.
    Träume, die uns unausgesetzt und mit großer Gewalt befallen, werden mitunter wahr.«
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51. Kapitel

    D er Zauber Tibets wirkte wie ein Rausch; ich hätte es nicht für möglich gehalten. Der in der Nacht gefallene Schnee war in dem Hochtal bereits wieder unter der Sonne geschmolzen. Nur die Berge im Osten lagen im Schatten; hier war der Schnee gefroren, und die Hufe der Pferde sackten in der Kruste ein. Die Gletscher funkelten, das Azurblau war von gläserner Härte. Als der Schnee von den Felsen herunterstäubte, tanzten Eiskristalle im Licht, die Luft war von wirbelnden Funken erfüllt. Eine seltsame Energie schien Himmel und Erde zu verbinden. Sie strömte durch meinen Körper hindurch, verband mich mit der Luft, mit der Sonne, mit dem Boden.
    Blau und Weiß, die Farben des Himmelsgottes, verkörperten Licht und Raum, und tränkten die Menschen mit Kraft.
    Der Weg stieg endlos an, wie eine Treppe. Manchmal dachte ich, dieser Weg konnte nur zum Ende aller Wege führen. New York, Kathmandu, Istanbul und Rom hätten ebensogut auf verschiedenen Planeten liegen können. Hier und da lösten sich Steine, hüpften polternd und sirrend in die Tiefe. Dann flatterten Vögel auf, die in den Schluchten Nahrung suchten. Ihr Gefieder leuchtete kupferfarben in der Sonne, bevor sie wie Schemen zurück in die Tiefe sanken. Ein Tag verging, dann ein zweiter und noch ein dritter.
    Die Bergkette schien enger zusammenzurücken, eine unüberwindliche Wand zu bilden. Wir erreichten eine Landschaft, in der man vergeblich eine Spur von Leben suchte, eine Landschaft aus Stein, Schnee und eisiger Sonne. Hier wehte der Wind wie ein Orkan. In hundertfachem Echo warfen die Felswände sein Heulen und Pfeifen zurück. Langsam, Schritt für Schritt, wagten sich Ilha und Bemba auf das Gletschereis. Die Pferde verstanden es, sich mit Hilfe des Windes vorwärts zu bewegen, sich gegen ihn zu lehnen, um sich im Gleichgewicht zu halten. Für mich war die Anstrengung gewaltig; meine Lungen flogen, das Herz hämmerte mir. Atan sorgte stets für ausreichend Wasser, denn der Körper braucht viel Flüssigkeit.
    Endlich erreichten wir die Paßhöhe. Wie Hunderte von Reisenden vor uns, befestigten wir eine Glücksschärpe um einen weißen Stein und legten ihn auf das mit Gebetsfahnen geschmückte Paßheiligtum.
    Wir sprachen ein Gebet, glücklich darüber, das wir den ersten Teil der Reise überstanden hatten. Doch der Abstieg war noch heikler.
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    Tückische Gräben und Rinnen durchzogen den Hang, der fast senkrecht in die Tiefe fiel. Auf der Nordseite hatte der Wind zum Glück nachgelassen. Außer dem Hufschlag der Pferde, ihrem keuchenden Atem, dem Knirschen des Sattelleders, war die Stille nahezu vollkommen. Atan ritt vor mir und erkundete den Weg; ich sah nur seinen breiten Rücken, in Wolfsfell gehüllt. Er schien weder Hitze noch Kälte zu spüren, sein Oberkörper war nackt unter der seidenen Wickelbluse der Nomaden. Ich trug eine

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