Die Tiefe einer Seele
Du rufst mich an, weil Du Dich für mein Befinden interessierst? Willst Du mich auf den Arm nehmen, oder was? Wir haben uns erst vor ein paar Tagen in Hyannis Port gesehen, erinnerst Du Dich? Erins Geburtstag? Da konntest Du Dich doch eingehend davon überzeugen, dass es mir gut geht. Also hör mit dem Geschwafel auf und sag mir endlich, was Du willst!«
»Du meine Güte, James!«, versuchte Bill den aufgebrachten Jüngeren zu beschwichtigen. »Kein Grund, so knurrig zu sein. Mom dachte, es könnte nicht schaden, wenn ich noch mal mit Dir reden würde. Du weißt schon weswegen.«
»Na super! Hat es nicht gelangt, dass Dad mir die ganzen Tage auf Cape Cod damit in den Ohren gelegen hat? Verdammt, ich bin es so leid, dieses Thema. Warum kann er sich, warum könnt Ihr alle Euch nicht endlich mit meiner Entscheidung abfinden? Das wäre wirklich mehr als hilfreich.« James' Wutpegel stieg sekündlich an.
»Ich kann nachvollziehen, dass Du sauer bist. Andererseits verstehe ich aber auch Dad. Ihm liegt so viel an Prescott Publishing und der Tradition unserer Familie.«
»Ach komm hör auf! Die Tradition der Familie hätte vorgesehen, dass Du den Konzern übernimmst. Darf ich Dich daran erinnern, dass Dein Name William ist, nicht meiner? Doch Du ziehst es ja vor, Dich aus Deiner Verantwortung zu stehlen, genau wie unser feiner Bruder Ruben.«
»Bei aller Wut solltest Du jetzt nicht ungerecht werden, James. Ich habe Dir schon in Hyannis gesagt, dass ich mich nicht aus der Verantwortung stehle, sondern dass ich ganz einfach für diesen Job nicht geschaffen bin. Das Gleiche gilt für Ruben. Ja, ich trage den Namen des Erben und ja, Du bist in Anführungszeichen nur der Drittgeborene. Da hat der liebe Gott sich wohl einen Scherz erlaubt oder ausversehen die Reihenfolge der Kinder durcheinander geworfen. James, es stand doch im Grunde genommen bereits seit Deiner Kindheit fest, dass Du die Firma übernehmen wirst. Du hast Dad auf Schritt und Tritt begleitet, nein, verfolgt sollte man besser sagen, wolltest alles über seinen Job wissen, über die Menschen, mit denen er zu tun hat. Als ich lernte, dass ich lieber mit Puppen als mit Eisenbahnen spielte, als Ruben sich durch seine Wildheit einen Knochenbruch nach dem anderen zuzog, da hast Du Dich in Deinem Zimmer an Deinem Schreibtisch vergraben. Hast Berichte geschrieben und sie anschließend zu einer Zeitung zusammengebastelt. Mit acht Jahren, Herrgott! Als Du älter wurdest, verbrachtest Du Deine gesamten Ferien bei PP, während Ruben und ich uns nicht einen Deut um den Familienbetrieb scherten. Schon damals war sonnenklar, dass nur Du der Kronprinz sein konntest. Und Du wolltest das auch. Unbedingt! Hast es Dad sogar versprochen.«
»Das mag alles sein, Bill. Trotzdem ist es manchmal so, dass der Mensch seine Meinung ändert. Und das habe ich, darum kann ich mein Wort nicht halten, so leid es mir tut. Dad wird damit leben müssen, dass keiner seiner Söhne das Unternehmen weiterführen wird. Vielleicht ist das für PP ja eine Chance, es gibt doch so viele andere Möglichkeiten.«
»Das ist Bullshit, James, und das weißt Du auch. Und wenn Du glaubst, dass Mom und Dad, wir alle Dich nicht durchschauen, dann hast Du Dich gewaltig geschnitten. Du hast Deine Meinung nämlich gar nicht geändert, sondern Du lehnst die Leitung des Konzerns ab, weil Du Dich schuldig fühlst. Wegen Liam! Das Problem ist, dass egal was Du tust, James Prescott, Du wirst ihn nicht zurückholen können. Was passiert ist, lässt sich nicht mehr ändern, so einfach ist das.«
James ballte seine Hand zu einer Faust. Konnten sie nicht endlich einmal Ruhe geben?
»Ich wusste ja gar nicht, dass meine Verwandtschaft aus lauter Psychologen besteht!«, sagte er eine Spur schärfer, als er beabsichtigt hatte. »Was ich tue und was nicht, das ist ganz allein meine Sache, und welche Beweggründe ich dafür habe ebenso. Also hört auf mich zu bedrängen, und lasst mich bitte in Frieden!«
»So läuft das aber nicht, James. Wir sind eine Familie, und wir haben eine Fürsorgepflicht füreinander. Deswegen können wir nicht einfach dabei zusehen, wie Du Dir selber etwas vormachst. Egal, ich will mich nicht mit Dir streiten. Tu mir nur den Gefallen und denk noch mal über alles nach, ja?«
James verdrehte die Augen im Kopf und gab ein Brummen von sich, was sein Bruder wohl als Zustimmung auffasste.
»Jetzt aber noch mal was anderes. Hach, ich bin so aufgeregt. Stell Dir vor, ich habe jemanden kennengelernt,
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