Die Tochter des Hauslehrers (German Edition)
zusammenzuckte, als sei es ein Kricketball, der auf ihre Nase zufliegt?«
Emma straffte sich und rückte ihre verrutschte Haube gerade. »Ich war entschlossen, mich nicht zu blamieren«, gestand sie, völlig außer Atem. »Und dann das!«
Er lachte und einen Moment lang blickten sie sich in unbeschwerter Fröhlichkeit in die Augen.
Dann wurde er wieder ernst. »Danke für das Lachen, Miss Smallwood. Das war genau das, was ich gebraucht habe nach gestern.«
»Dann freue ich mich, dass ich Ihnen zu Diensten sein konnte. Lizzie hat mir ein bisschen von dem erzählt, was passiert ist, nachdem ich das Musikzimmer verlassen hatte. Ist Ihr Bruder … geht es Adam gut?«
»Ja, ich glaube schon. Lady Weston allerdings weniger.« Er erzählte ihr kurz, was geschehen war, dann streckte er die Hand nach ihrem Schläger aus. »Sollen wir vielleicht lieber einen Spaziergang machen, Miss Smallwood?«
Sie reichte ihm das Gewünschte. »Ja, danke. Im Spazierengehen bin ich sehr viel besser.«
Henry legte die beiden Schläger und den Ball auf eine Gartenbank, holte seinen Hut und bedeutete Miss Smallwood, vor ihm durch das Gartentor zu gehen. Dann holte er sie ein und ging neben ihr, nahe genug, dass sie sich bequem unterhalten konnten, aber nicht zu nahe.
Als sie von knirschendem Kies auf weiches Gras kamen, begann Henry: »Ich hatte gehofft, jetzt, da das ›furchtbare Geheimnis‹ ans Licht gekommen ist, würde sie sich ein bisschen entspannen. Doch stattdessen ist sie völlig außer sich und drängt Phillip und mich unaufhörlich, einen Pflegeplatz für Adam zu finden. Aber ich fürchte, ich bin nicht mit dem Herzen bei der Suche. Ich habe Adam doch gerade erst gefunden, ich will ihn nicht schon wieder wegschicken.«
Miss Smallwood neben ihm nickte voller Mitgefühl und sagte freundlich: »Ich erinnere mich nicht, dass Sie oder Phillip einen älteren Bruder erwähnt haben.«
Henry verzog das Gesicht. »Ich habe auch gerade erst von ihm erfahren – dass er noch am Leben ist.«
»Bitte?«
»Adam sieht sehr jung aus, ich weiß; er ist aber vier Jahre älter als ich. Als ich noch nicht ganz vier war, Phillip war gerade geboren, verschwand Adam urplötzlich von einem Tag auf den anderen. Wenn ich nach ihm fragte, bekam ich zur Antwort, er sei gegangen und käme nicht zurück. Ich war damals noch zu jung, um das zu verstehen oder weiterzufragen. Mit der Zeit, als niemand mehr von ihm sprach, schwand auch meine Erinnerung an ihn. Meine Mutter ist ein paar Jahre später gestorben. Nach diesem Verlust hatte ich nur noch wenige, vage Erinnerungen an einen Spielgefährten namens Adam, weiter nichts.«
Henry blinzelte zum fernen Horizont. »Ein oder zwei Mal habe ich noch nach ihm gefragt, als ich älter war. Aber mein Vater hat nur gesagt, dass es da zwar ein anderes Kind gab, dass es jedoch schon lange fort sei. Damals war die Kindersterblichkeit noch sehr viel höher als jetzt und … nun, keiner stellte Fragen, wenn anscheinend ein weiteres Kind gestorben war. Meine Mutter hatte einen Säugling verloren, bevor Adam geboren wurde, das haben sie mir gesagt. Und als ich den kleinen, namenlosen Grabstein auf dem Friedhof sah, dachte ich, es sei Adams.«
Miss Smallwood dachte nach. »Warum sollten Sie glauben, dass er gestorben war?«
Henry zuckte die Achseln. »Vielleicht dachten sie, es sei einfacher, als mir alles zu erklären. Vielleicht hatten sie Angst, dass ich keine Ruhe geben würde, bis sie ihn wieder nach Hause holten.« Er stieß hart die Luft aus. »Und damit hatten sie recht.«
Sie fragte: »Wann ist Adam nach Ebbington zurückgekehrt?«
»In der Nacht, bevor Sie eintrafen, und zwar praktisch ohne Vorwarnung.«
»Du meine Güte«, hauchte Miss Smallwood. »Kein Wunder, dass Lady Weston und Sir Giles etwas – äh – betroffen waren, als dann auch noch wir kamen!«
Henry nickte.
»Wann haben Sie herausgefunden, dass er noch am Leben ist?«, fragte sie.
Die gefürchtete Frage. Sofort stiegen Schuldgefühle in ihm auf. »Nachdem ich meinen Abschluss gemacht hatte und nach Hause zurückgekehrt war, bat mein Vater mich, die Verwaltung des Anwesens zu übernehmen. Eines Tages ging ich die Bücher durch. Dabei fiel mir eine monatliche Zahlung an einen Mr und eine Mrs Hobbes in Camelford auf. Ich fragte bei Davies danach und erfuhr, dass Mrs Hobbes niemand anderer war als Miss Jones, meine alte Kinderfrau, die geheiratet hatte. Das erklärte zwar noch nicht, warum wir sie noch immer bezahlten, doch die nächsten
Weitere Kostenlose Bücher