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Die Tochter des Hauslehrers (German Edition)

Die Tochter des Hauslehrers (German Edition)

Titel: Die Tochter des Hauslehrers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Klassen
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Mutter und vielleicht die Schachfigur zu nehmen, obwohl er Letzteres geleugnet und gemeint hatte, sie habe kurze Zeit, nachdem Henry ihn danach gefragt hatte, in seinem Koffer gelegen.
    »Du weißt doch.« Adam warf Henry einen Seitenblick zu, schaute jedoch schnell wieder weg. »Du warst doch da.«
    »Ich war da?«, fragte Henry verwirrt.
    Adam ging zu den Soldaten zurück und kauerte sich wieder auf den Fußboden. »Danach haben sie mich fortgeschickt.«
    Henry starrte ihn an. »Ich war noch nicht einmal vier, als sie … als du zu Mr und Mrs Hobbes gegangen bist. Ich erinnere mich kaum noch an diese Zeit.«
    Adam blickte auf, seine Augen wirkten abwesend. »Wir saßen in Mas Zimmer. Aber damals war sie noch nicht meine Ma. Sie hatte einen Kessel auf dem Herd, weil sie Tee machen wollte. Dann wurde sie fortgerufen und kam ganz lange nicht zurück.« Adam schüttelteden Kopf. »Ich wollte ihr helfen, deshalb habe ich versucht, das Wasser auszugießen. Aber es ist auf deinen Arm gespritzt. Du hast so furchtbar geschrien. Mrs Hobbes hat gesagt, das sei ein Segen gewesen, denn wenn du kochendes Wasser getrunken hättest, hättest du dich innerlich verbrannt und hättest sterben können.«
    Henry setzte sich Adam gegenüber und betrachtete seinen Arm. Im gleichen Moment begann die kleine, verblasste Narbe zu jucken – er erinnerte sich. »Es geht mir gut, Adam. Du siehst es doch selbst. Gut.«
    Aus einem Impuls heraus langte er hinüber und legte Adam die Hand auf den Arm. Adam versteifte sich und Henry zog sie schnell wieder zurück. »Es war ein Unfall, Adam. Und du warst noch ein Kind.«
    Dieser Zwischenfall mochte vielleicht den letzten Anstoß gegeben haben, doch Henry war klar, dass die Gründe dafür, Adam fortzuschicken, weitaus vielfältiger waren.
    »Es tut mir leid«, sagte Adam. Es klang wie eine Zeile aus einem Theaterstück.
    »Du hast keinen Grund …«, begann Henry, doch dann überlegte er es sich anders. Dieses Ereignis hatte Adam offenbar seit Jahren gequält. Er sagte fest, aber freundlich: »Adam, sieh mich an.«
    Adams Blick flog kurz zu Henry hoch, doch er schaute gleich wieder weg.
    »Adam, ich vergebe dir. Glaubst du mir?«
    »Ja.«
    Henry tat das Herz weh für seinen Bruder. Mit heiser Stimme sagte er: »Adam, vergibst du mir auch?«
    Adam warf ihm einen Blick zu, doch bevor er die Augen wieder abwandte, glaubte Henry einen Anschein von Überraschung darin zu sehen. »Was hast du denn getan?«
    Henry blickte auf das Profil seines Bruders und in seiner Kehle bildete sich ein Knoten. »Nichts. Viel zu lange.«

    In der folgenden Woche, Henry unternahm gerade seinen Morgenritt und war noch einen knappen halben Kilometer von Ebbington Manor entfernt, kam ein Sturm auf; der Wind blies aus Südwesten. Der Himmel verdunkelte sich, Wolken ballten sich zusammen. Es regnete noch nicht, doch die Luft war dick und schwer von Feuchtigkeit. Der Wind nahm zu und heulte wie eine Frau in den Wehen, doch der Regen blieb weiter aus.
    Plötzlich packte Henry eine schreckliche Angst. Was war das? War Miss Smallwood in Not oder …? Wie eine Vorahnung stieg vor seinem geistigen Auge das Bild des Turms auf.
    Sein Pferd, Major, das normalerweise bei jedem Wetter die Nerven behielt, schnaubte und scheute; vielleicht spürte es die Angst seines Herrn. Henry trieb Major in einem schnellen Galopp über die Landzunge, zum Turm, den sie wiederaufgebaut hatten und auf dem vor zwei Tagen die Glocke installiert worden war.
    Vor ihm, dicht an der Spitze der Landzunge, sah er Miss Smallwood, Lizzie und Julian, die bei Rowans Staffelei standen und ihm halfen, seine Sachen zusammenzupacken, bevor der Regen losbrach.
    Henry ritt an ihnen vorbei und schaute aufs Meer hinaus. Dort war, wie er befürchtet hatte, ein Schiff, das auf der kabbeligen See navigierte und versuchte, den Hafen zu erreichen.
    Sein Herz klopfte, sein Puls raste. Das war es – das »nächste Mal«, das er vorhergesehen hatte. Es war keine Zeit zu verlieren.
    Emma Smallwood war an den Rand der Klippe gelaufen, um nachzusehen, was seine Aufmerksamkeit erregte. Als sie das gefährlich weit zur Seite geneigte Schiff sah, presste sie eine behandschuhte Hand auf ihren Mund.
    Er rief ihr zu: »Läuten Sie die Glocke! Schnell!«
    Sie nickte und rannte zum Turm. Er wendete sein Pferd, gab ihm die Sporen und jagte in gestrecktem Galopp den Weg zum Hafen hinunter.
    Emma rannte zum Turm, um zu tun, was Henry gesagt hatte, doch als sie dort angekommen war und hinaufsteigen

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