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Die Tochter des Hauslehrers (German Edition)

Die Tochter des Hauslehrers (German Edition)

Titel: Die Tochter des Hauslehrers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Klassen
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errechneten Gezeiten. Dann schaute sie auf ihre Uhr. Gut. Noch drei Stunden bis zur nächsten Flut, Zeit genug, um zur Kapelle und wieder zurückzugehen.
    Emma stellte das Buch wieder genau an den Platz, wo sie es gefunden hatte, und ging noch einmal hinauf ins Schulzimmer. Rowan saß noch immer über seinen Zeichenblock gebeugt, doch Emma konnte wenig Fortschritte erkennen. Sie trat an den Schreibtisch ihres Vaters, um sich den Unterrichtsplan für heute anzusehen und nachzuschauen, ob sie noch etwas vorbereiten musste. Von Zeit zu Zeit warf sie einen Blick auf die Uhr oder schaute aus dem Fenster. Sie konnte die Landzunge, den Wachturm und einen Flecken grauen Himmel sehen, aber keine Spur von ihrem Vater.
    Grauer Himmel. Nicht blau. Braute sich vielleicht ein Unwetter zusammen? Die Gezeitentabelle war natürlich kein Garant gegen einen plötzlich aufkommenden Sturm.
    Julian kam herein und setzte sich. »Mr Smallwood kommt heute nicht?«, fragte er.
    »Er müsste gleich da sein«, sagte Emma ruhig und ermahnte sich, dass es töricht von ihr war, sich Sorgen zu machen. »Er ist auf einem seiner Spaziergänge. Unten, bei der Chapel of the Rock.«
    »Wirklich?«, sagte Rowan. »Ich dachte, er wollte …« Er brach ab und starrte Julian an. »Was ist denn? Warum hast du mich gestoßen?«
    Julian wandte sich an Emma. »Machen Sie sich keine Sorgen, Miss Smallwood. Wir wissen alle, dass es da unten sehr gefährlich ist, aber ich bin sicher, es ist alles in Ordnung. Er war doch früher schon dort, oder? Mit Ihnen oder Henry?«
    Sie runzelte die Stirn. »Nicht, dass ich wüsste. Jedenfalls nicht mit mir.«
    »Ich hoffe, er hat vorher nach den Gezeiten gesehen.«
    Ein Windstoß rüttelte an den Fenstern des Schulzimmers und fuhr durch die Ritzen.
    Rowan schüttelte den Kopf. »Das gefällt mir aber gar nicht.«
    »Davies sagt, er riecht es, wenn sich ein Sturm zusammenbraut, und er hat immer recht«, sagte Julian.
    »Ja?«, fragte Emma und ein Angstschauer lief ihr über den Rücken. »Hat er das auch zu meinem Vater gesagt?«
    Julian zuckte die Achseln. »Nicht, dass ich wüsste.«
    Emma stand abrupt auf; die Beine ihres Stuhls schrammten laut über den Fußboden.
    »Ich sollte wohl besser gehen und nach ihm Ausschau halten. Ihr beide lest bitte …«, sie schaute in die Notizen ihres Vaters, »die Ilias . Von da, wo wir gestern stehen geblieben sind … bis ich wieder da bin.«
    Rowan stöhnte, aber Emma hatte kein Mitleid. Ihr schwirrte der Kopf von irrationalen Bildern, wie ihr Vater auf dem Rückweg von der Kapelle von der Landzunge gerissen wurde.
    Sie lief rasch in ihr Zimmer und zog ihre Halbstiefel und den Mantel an. Es dauerte kostbare Minuten, bis sie die Stiefel zugebunden hatte, aber sie wusste, dass sie damit sehr viel schneller und sicherer gehen konnte als in ihren flachen, leichten Schuhen.
    Als sie die Treppe hinunterging, sah sie Lizzie in der Halle; sie saß auf einem hochlehnigen Holzstuhl neben der Eingangstür. Beim Geräusch von Emmas Schritten blickte sie von dem Lady's Magazine auf, in dem sie blätterte. »Wo willst du hin?«, fragte sie.
    Die beiden Frauen hatten seit dem Zwischenfall am Glockenturm einen unbehaglichen Waffenstillstand geschlossen, doch Emma vermutete, dass es mit der warmen Kameradschaft zwischen ihnen ein für alle Mal vorbei war.
    »Ich suche meinen Vater. Hast du ihn gesehen?«
    »Er ist zu einem seiner Spaziergänge aufgebrochen, aber das ist schon einige Zeit her.«
    »Angeblich ist er zur Chapel of the Rock gegangen.«
    »Wirklich?« Lizzie zog eine Braue hoch. »Bei dem Wind?«
    Emma schluckte. »Wenn jemand fragt, sag bitte, wo ich bin.«
    Lizzie nickte und Emma wandte sich zur Tür.
    »Emma?«
    Emma drehte sich um. »Ja?«
    Lizzie sah verlegen aus. »Es tut mir leid. Alles.«
    Emma war überrascht – überrascht und erleichtert. »Danke, Lizzie. Mir auch.« Sie lächelte das Mädchen an und öffnete die Tür.
    »Emma?«
    Emma wandte sich noch einmal zu ihr um.
    Lizzie zögerte. »Sei vorsichtig.«
    Emma lief durch den Garten, zum Tor hinaus, über die windige Landzunge. Sie ging in langen Schritten, rannte fast, und suchte dabei mit den Augen den Küstenweg nach einem Zeichen von ihrem Vater ab. Oder von Henry auf dem Rückweg von seiner Besprechung.
    Nichts.
    Sie war schon halb über die Landzunge, als sie merkte, dass siezum ersten Mal seit Jahren ohne Handschuhe und Haube aus dem Haus gegangen war. Reiß dich zusammen , befahl sie sich. Jetzt war nicht der

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