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Die Tochter des Hauslehrers (German Edition)

Die Tochter des Hauslehrers (German Edition)

Titel: Die Tochter des Hauslehrers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Klassen
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beugte sich widerwillig wieder über seine Arbeit.
    »Und du, Julian?«, fragte der Pfarrer und blieb neben seinem zweiten Schüler stehen.
    Julian hatte nicht auf den Zwischenfall reagiert, ja er hatte nicht einmal aufgeblickt.
    Da er immer noch nicht antwortete, stupste Mr McShane ihn mit dem Zeigefinger in den Arm. Es war eine spielerische Geste, keineswegs hart oder gewalttätig, doch Julian riss den Kopf hoch; seine Augen blitzten vor Wut. Verschwunden war der nette Junge, den Emma bei ihrer ersten Begegnung kennengelernt hatte; an seiner Stelle saß hier ein zornschnaubender junger Mann, bereit zuzuschlagen.
    »Machen Sie das noch einmal und sie ziehen einen Armstumpf zurück.«
    Emma unterdrückte ein Aufkeuchen – und den Wunsch, hineinzugehen und die Situation zu entschärfen.
    In diesem Moment sprang Rowan auf und stellte sich zwischen seinen Bruder und den fassungslosen Pfarrer. Rowan war fast gleich groß wie der Geistliche. Er stand da, angespannt, hellwach, bereit – wozu? Seinen Bruder zu verteidigen oder den Herausforderer zu bedrohen?
    Ruhig sagte er: »Ich würde Ihnen raten, das nicht noch einmal zu tun, Mr McShane.«
    Der Pfarrer legte in einer bedauernden Geste die Hand auf die Brust und sagte ernst: » Mea maxima culpa . Ich bitte um Verzeihung. Ich wollte keinem von Ihnen beiden zu nahetreten. Ich entschuldige mich bei Ihnen.«
    Rowan blieb noch einen Moment stehen, dann drehte er sich um und beide Männer sahen Julian an. Dessen harter Blick blieb unverändert. Emma verkrampfte sich, sie rechnete damit, dass es jeden Moment zum Kampf käme.
    Doch plötzlich lehnte Julian sich auf seinem Stuhl zurück und grinste, als sei alles nur ein Scherz gewesen. » Te absolvo «, sagte er. »Diesmal noch.«
    Emma drehte sich leise um und begann, die vielen Stufen zum Schulzimmer hinaufzusteigen. Einerseits war sie sehr erleichtert, dass der Pfarrer offenbar gewisse Probleme mit den Jungen hatte, wie sie sich auch schon bei ihrem Vater abzeichneten, andererseits jedoch war sie beunruhigt darüber, wie sehr die beiden es an Respekt gegenüber einem Lehrer – noch dazu einem Geistlichen – fehlen ließen.
    Im Schulzimmer widmete sie sich wieder der Durchsicht und Katalogisierung der Bücher in den Regalen. Ein verstaubter Band enthielt eine Geschichte des Dorfes Ebford.
    Sie kniete sich vor dem Regal hin und blätterte das Buch rasch durch. Dabei fiel ihr eine Reihe prominenter Familiennamen ins Auge, die sich in der Gegend niedergelassen hatten – die Heales, Trewins, Teagues und Morgans. Heale – war das nicht der Name, den Mr Davies erwähnt hatte? Lady Westons Mädchenname? Sie glaubte es, war sich aber nicht ganz sicher.

    Am Nachmittag bot Lizzie Emma eine Führung durch Ebbington Manor an und versprach, ihr dabei nicht nur die öffentlichen Räume zu zeigen, wie Mrs Prowse es getan hatte, sondern auch die interessanteren Bereiche des Hauses. Emma war überrascht, dass Mrs Prowse ihr nicht selbst dieses Angebot gemacht hatte, doch bei genauerem Nachdenken wurde ihr bewusst, dass sie die Haushälterin kaum zu Gesicht bekommen hatte, seit sie ihr am Abend ihrer Ankunft ihr Zimmer gezeigt hatte.
    Lizzie führte sie zuerst durchs Erdgeschoss und zeigte ihr die Zimmer, die von der Halle aus betreten wurden. »Die meisten haben Sie schon gesehen. Salon, Esszimmer, Frühstückszimmer, Bibliothek. Kennen Sie das Musikzimmer auch schon?«
    »Nein.«
    Lizzie öffnete die Tür und deutete in den Raum. Emma spähte hinein; sie sah die Tapeten und die Porträts an den Wänden, ein Klavier und in einer Ecke sogar eine Harfe.
    »Wer spielt denn?«, fragte sie.
    »Die Harfe? Keiner, glaube ich.«
    »Und das Klavier?«
    »Julian und Rowan hatten Klavierunterricht. Aber Julian ist angeblich der bessere Spieler.«
    Emma sah sie an. »Du bist anderer Meinung?«
    Lizzie zuckte die Achseln. »Ich habe kein Ohr für Musik, heißt es.« Sie schloss die Tür wieder, noch bevor Emma sich genauer umsehen konnte. »Es kommen noch interessantere Zimmer.«
    Sie führte Emma die Treppe hinauf in den ersten Stock. »Hier sind Lady Westons Räume.« Sie öffnete eine Tür. »Das ist ihr Ankleidezimmer, gleich daneben ihr Schlafzimmer.« Lizzie deutete auf das Nebenzimmer. Emma erhaschte einen Blick auf ein plüschiges Himmelbett.
    Lizzie stand vor dem Frisiertisch. »Haben Sie so etwas schon mal gesehen? Das sind genügend Salben und Wässerchen, um die Falteneines Elefanten zu glätten – nicht, dass ich je einen Elefanten

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