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Die Tochter des Hauslehrers (German Edition)

Die Tochter des Hauslehrers (German Edition)

Titel: Die Tochter des Hauslehrers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Klassen
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demonstrieren und als Partnerin der Jungen zu fungieren. Diese hatte das offenbar schon öfter getan und beherrschte die Schritte perfekt, wirkte aber trotzdem ein wenig unbeholfen – ein Füllen, das versuchte, seine langen, unsicheren Glieder zu ordnen. Sie trat genau da hin, wo sie hintreten sollte, hob ihre Arme in völlig korrektem Winkel, doch mit vierzehn Jahren hatte ihren Bewegungen noch die Schmiegsamkeit, die weibliche Anmut gefehlt, die sie jetzt besaß.
    Statt der Verlegenheit von damals, an die er sich jetzt erinnerte, war bei dem Tanz mit Phillip ihr ungeheucheltes Vergnügen offenbar geworden, obwohl es ihm gleichzeitig so vorkam, als versuchte sie, dieses Vergnügen zu verbergen und das schelmische Lächeln zu unterdrücken, das sich immer wieder auf ihre Lippen stahl. Sie mochte keine so versierte Tänzerin sein wie Miss Penberthy, doch höchstwahrscheinlich hatte Emma Smallwood auch nicht annähernd so viele Gelegenheiten zum Üben wie jene.
    Er empfand einen schamvollen Stich, als er daran dachte, wie der Tanzmeister ihn bei ihrer letzten Tanzstunde dazu bestimmt hatte, mit der Tochter des Hauslehrers zu tanzen. Dabei war ihm plötzlich die Warze an seinem linken Ringfinger eingefallen, die zwar in der Rückbildung begriffen, aber noch nicht völlig verschwunden war und eine raue Stelle an seinem Finger hinterlassen hatte, die jeder, der seine Hand berührte, spüren und auch sehen konnte. Wie hatte er den Gedanken gehasst, dass ihr Gesicht sich nun sogleich in Ekelverziehen, dass sie ihre lilienweiße Hand nur zögernd in die seine legen oder sich überhaupt weigern würde, ihn zu berühren. Die anderen Jungen beobachteten sie gespannt. Er, als der älteste Schüler, musste unbedingt überlegenes Selbstvertrauen und Können beweisen. Sein Ruf war in Gefahr, beschädigt oder sogar für immer ruiniert zu werden.
    Deshalb hatte er ihre Hand nur mit den Fingerspitzen berührt, in der Hoffnung, dass sie so nichts merken würde. In seiner Not konnte er sich kaum noch an die Schrittfolgen erinnern und ließ Miss Smallwoods Hand abrupt fallen, als der Tanz zu Ende war. Der Tanzmeister hatte die Stirn gerunzelt über seine stümperhafte Darbietung und ihnen befohlen, noch einmal von vorn anzufangen, was sogleich ein aufgeregtes Zwitschern bei den jüngeren Schülern zur Folge hatte. Er versuchte, sich völlig ungezwungen zu geben, und streckte wieder die Hand nach ihr aus – und in diesem Augenblick merkte sie es. Er sah es in ihren Augen und versuchte, sich gegen ihre Reaktion zu wappnen.
    Einen Moment lang sah sie ihn einfach an und ein Dutzend Gedanken und Gefühle spiegelten sich in ihren großen Augen. Jetzt hatte sie die Chance, sich für alle seine Streiche und Sticheleien zu rächen. Er hatte ihr die Gelegenheit dazu mit eigenen Händen gegeben, mit seinem eigenen, verunstalteten Fleisch.
    Doch statt die Nase zu rümpfen oder ihn auf den Makel anzusprechen oder überhaupt irgendetwas zu sagen, hatte sie einfach ihre Hand in die seine gelegt, fest und ohne zu zögern. In diesem Moment hatte er sie nur bewundern können, ja er hatte fast so etwas wie brüderliche Zuneigung zu ihr empfunden. Er hätte sie am liebsten umarmt, wären die vielen Zuschauer und seine Furcht vor ihrer Reaktion nicht gewesen. So legte er stattdessen die Hand um ihre Taille, diesmal ebenso fest, wie sie ihre Hand in seine gelegt hatte.
    Im Moment sah Miss Smallwood weniger begierig aus, mit ihm zu tanzen, als Henry es sich wünschte. Er war versucht, ihr seine beiden Handflächen zu zeigen, warzenfrei und völlig glatt, abgesehen von einoder zwei kleinen Schwielen vom Reiten. Doch er widerstand dem Drang und ignorierte den kleinen Stich der Enttäuschung bei der Erkenntnis, dass sie lieber mit seinem Bruder als mit ihm tanzte. Das war ja nur natürlich – hatte Phillip denn nicht angedeutet, dass er in sie verliebt war? Oder wusste sie noch nichts von seinen Gefühlen für sie?
    Henry achtete sorgfältig darauf, ihr nicht zu nahe zu kommen und seine Berührungen rein brüderlich zu halten. Er hatte zwar nie eine Schwester gehabt, doch er hatte in seinem Leben schon mit vielen Frauen getanzt, für die er absolut keine romantischen Gefühle hegte.
    Er konzentrierte sich auf die Schritte. Seltsamerweise war er unfähig, ein belangloses Gespräch zu beginnen, wie es in solchen Situationen erwartet wurde. Das Schweigen zwischen ihnen wurde nahezu peinlich.
    Schließlich sagte sie: »Sie sind ein sehr guter Tänzer, Mr

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