Die Tochter des Hauslehrers (German Edition)
Niesen war in Sturm und Donner untergegangen. Ein anderes Geräusch drang an ihr Ohr, ein Klatschen oder Knallen, das Krachen von Holz auf Holz.
Als sie ans Ende des Flurs kam, wurde das Geräusch lauter. Ein schwaches Licht drang unter dem Rahmen der letzten Tür auf dem Gang durch. Das laute Klatschen wurde von einem anderen Geräusch begleitet, das Patsch-patsch-patsch war durchsetzt von einem monotonen »Nein, nein, nein«. Was war das? Wurde da jemand geschlagen? Nein, ganz bestimmt nicht. Was immer sie Henry Weston in seiner Jugend auch vorgeworfen hatte, sie würde ihm nie eine solche Grausamkeit zutrauen.
Bereit, das Kind oder was immer es war, zu verteidigen, drückte Emma die Tür auf. Das Quietschen der Angel ging unter im Missklang des heulenden Sturms, des rhythmischen Klatschens und des lauten Weinens.
Emma brauchte einen Moment, bis ihre Augen sich an das Kerzenlicht gewöhnt hatten und sie sah, was sich vor ihr abspielte.
Henry Weston rannte von Fenster zu Fenster und kämpfte verzweifelt mit sich aufbauschenden Vorhängen und hin und her schlagenden Fensterläden. Warum um alles in der Welt standen die Fenster des Zimmers in einer solchen Nacht offen? Das Krachen der hölzernen Läden wurde leiser, während Henry ein Fenster nach dem anderen schloss und weitereilte zum nächsten.
Auf dem Boden mitten im Zimmer hockte eine zusammengekauerte Gestalt. Die Beine angezogen, das Kinn an die Brust gedrückt, die Arme um die Knie geschlungen und das Gesicht in den Armen verborgen, die Handflächen monoton gegen die Ohren schlagend – patsch-patsch-patsch . Ein schlanker junger Mann, soweit Emma sehen konnte, in einem langen Nachthemd, schrie mit hoher Stimme »Nein, nein, nein«, doch es war kein Kind, wie sie gedacht hatte.
Sie lief zu dem Fenster, das am weitesten entfernt war, schlüpfte unter dem fliegenden Schleier gebauschten Stoffs hindurch und tastete nach dem Fensterrahmen.
Henry schnaubte: »Warum sie darauf bestanden hat, ihn in diesem Zimmer mit den vielen verfluchten Fenstern unterzubringen, werde ich nie verstehen. Und warum um Himmels willen stehen sie bei einem Sturm alle offen?«
Emma zog das Fenster zu und sicherte den Riegel. Jetzt fiel der Vorhang glatt herunter und sie tauchte dahinter hervor.
Henry blickte zu ihr hinüber und erstarrte. Er hatte offensichtlich angenommen, sie sei jemand anders, ein Dienstmädchen vielleicht oder jemand von der Familie, der helfen wollte.
»Miss Smallwood …«, murmelte er fassungslos.
»Ich schließe das Letzte noch. Gehen Sie zu ihm«, befahl sie, kühl und sachlich.
Er zögerte einen Moment, dann drehte er sich um und ging durchs Zimmer. Sie lief zum letzten Fenster und sicherte es, dann fing sie an, die hölzernen Läden über den Fenstern zu schließen, was den Sturm und die Blitze noch stärker dämpfen würde. Während sie das tat, blickte sie über die Schulter ins Zimmer. Henry kauerte auf den Fersen vor der knabenhaften Gestalt, dicht vor ihr, doch ohne sie zu berühren, und sprach leise und beruhigend auf sie ein.
Der schmächtige junge Mann schlug immer noch die Hände auf seine Ohren, doch die Kraft der Schläge ließ allmählich nach. Emmabeeilte sich, auch das letzte Fenster zu schließen, und trat dann langsam zu den beiden hinzu. Jetzt, da die Läden geschlossen waren und die Geräusche des Sturms nachgelassen hatten, konnte sie verstehen, was Henry sagte.
»Es ist alles in Ordnung. Es tut mir leid. Hast du die Fenster selbst geöffnet?«
Keine Antwort, außer dem monotonen »Nein, nein, nein«, inzwischen leiser.
Emma kniete sich neben den jungen Mann. Sie erhaschte einen Blick auf sein in die Ellbogen vergrabenes Gesicht – eine Grimasse der Angst oder des Schmerzes. Impulsiv streckte sie die Hand aus und legte sie auf seinen Arm. »Es ist alles gut. Du bist in Sicherheit.«
Er zuckte vor ihrer Berührung zurück, als hätte er sich verbrannt, und fing an, wieder heftiger auf seine Ohren einzuschlagen. Das »Nein, nein, nein« wurde zu einem panischen Klagen.
Sie starrte Henry an. »Es tut mir leid! Ich wollte ihn nur trösten.«
»Ich weiß. Es ist nicht Ihre Schuld. Er mag es nicht, angefasst zu werden.«
Henry fing wieder an, ihn mit tröstenden Lauten zu beruhigen. »Das ist Miss Smallwood. Sie wollte dich nicht aufregen. Sie hat uns doch geholfen, die Fenster und Fensterläden zu schließen. War das nicht nett von ihr? Miss Smallwood ist sehr freundlich, du wirst sehen. Du brauchst keine Angst vor ihr zu
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