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Die Tochter des Hauslehrers (German Edition)

Die Tochter des Hauslehrers (German Edition)

Titel: Die Tochter des Hauslehrers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Klassen
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unsicher, als sei es eine Art Scherz.
    Lady Weston trat neben sie; als sie Adam sah, wurde sie steif vor Schreck. Sie warf Henry einen drohenden Blick zu, dann lächelte sie ihre Freundin beschwichtigend an. »Kommen Sie, meine Liebe. Sie möchten sich doch nicht bei der Abreise verspäten; schließlich haben Sie eine lange Reise vor sich.«
    »Ja, ich weiß. Aber wer ist der junge Mann?«
    Henry blieb stehen, wo er war, bereit, seinen Bruder vorzustellen, und wartete nur noch auf ein Zeichen von Lady Weston, wie er sich verhalten sollte. Ganz bestimmt würde sie ihre Freundin nicht anlügen und Adam einfach verleugnen, indem sie ihn als Diener oder Ähnliches vorstellte. Während er Violet Westons Gesicht beobachtete, glaubte er eine ganze Parade möglicher Erklärungen hinter ihren Augen aufmarschieren zu sehen.
    Dann kam sie zu einem Entschluss. »Ach, das ist ein Verwandtermeines Mannes. Er wohnt ein paar Tage bei uns. Er ist nicht gern in Gesellschaft, sonst hätte ich ihn vorgestellt.«
    »Ach? Wer …?«
    »Kommen Sie, kommen Sie, meine Liebe«, beharrte Lady Weston und packte ihre Freundin energisch am Arm. »Ich höre schon die Kutsche draußen. Komm, Tressa, deiner Mutter liegt sehr daran, dass ihr pünktlich aufbrechen könnt, und ich möchte nicht schuld sein, wenn es zu einer Verspätung kommt.«
    Damit führte Violet Weston ihre Freundin mit fester Stimme und festem Griff aus dem Zimmer. Die anderen folgten, auch Miss Penberthy, doch Henry entging nicht der misstrauische Blick, den sie noch einmal über die Schulter zurückwarf.
    Krise abgewendet , dachte Henry trocken. Er ging durch das Zimmer zu Adam, der noch immer auf die einzige Note einhieb. »Wo kommst du denn her, Adam?«
    Adam neigte den Kopf und lauschte aufmerksam, wie der Klang im Instrument verhallte.
    Henry sagte: »Ich habe gar nicht gesehen, wie du hereingekommen bist.«
    »Ich habe mich versteckt.«
    »Wo?«
    Adam blickte zu einem Tisch mit bodenlangem Tischtuch hinüber; er stand an einer Wand und trug eine Reihe von Marmorbüsten.
    »Ah ja.« Henry krümmte sich innerlich bei der zunehmend irritierenden Wiederholung der verstimmten Note. Er fragte freundlich: »Sie ist verstimmt – liegt es daran?«
    Adam nickte und schlug den Ton erneut an, den Kopf dicht über die Taste gebeugt.
    »Du hast ein gutes Ohr, Adam«, sagte Henry. »Ich werde Mr Davies bitten, den Klavierstimmer kommen zu lassen, in Ordnung?«
    Plötzlich durchschnitt Lady Westons Stimme die Luft. »Gut. Jetzt reicht es endgültig.«
    Henry drehte sich um, wappnete sich und befahl sich, ruhig zu bleiben.
    Sie stand in der Tür, die Hände in die Hüften gestemmt, zutiefst empört. »Ich habe dich gebeten, ihn zwei Tage von uns fernzuhalten. Zwei Tage. Und nicht einmal das schaffst du.« Sie blickte an Henry vorbei auf das Klavier. »Wohin ist er denn jetzt wieder verschwunden?«
    Henry sah auf die leere Bank, dann auf den Tisch mit der langen Tischdecke. Die Decke bewegte sich leicht, doch er sagte nichts.
    Lady Weston deutete mit dem Finger auf Henry. »Gib zu, dass du dieses kleine Drama arrangiert hast, nur um mich zu ärgern und Miss Penberthy abzuschrecken – die bei Weitem beste Partie, der du je begegnen wirst.«
    »Das habe ich nicht.«
    »Es war schon schlimm genug letzte Nacht, mit dem infernalischen Geschrei und dem Krach. Glücklicherweise hatte ich die Penberthys so weit entfernt wie möglich untergebracht. Ich habe mir große Sorgen gemacht, aber sie haben mir heute Morgen versichert, dass sie ausgezeichnet geschlafen haben. Du siehst, wenn ich etwas in die Hand nehme, wird es auch korrekt ausgeführt.«
    Henry knirschte mit den Zähnen.
    »Ich habe dir doch gesagt, dass wir seine Tür abschließen müssen«, fuhr sie fort. »Dann wäre unser … lästiges … Geheimnis nicht ans Licht gekommen oder jedenfalls nicht ausgerechnet heute!«
    In Henry regte sich gerechte Empörung. »Er ist kein lästiges kleines Geheimnis, Lady Weston – kein ungewaschener Strumpf, der unters Bett geschoben wird, wenn überraschend Besuch kommt. Er ist ein Mensch. Und er hat nichts Falsches getan und nie jemanden verletzt. Ich werde nicht stumm danebenstehen, wenn Sie von ihm sprechen, als sei er ein Verbrecher, der weggesperrt werden muss. Verstehen Sie mich? Adam ist mein Bruder. Mein Bruder! «
    Sir Giles betrat das Zimmer, gefolgt von Phillip.
    »Was ist hier los?«, fragte sein Vater und blickte von seiner Frau zu Henry.
    Henry atmete durch geblähte Nasenflügel ein.

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