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Die Tochter des Königs

Titel: Die Tochter des Königs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Erskine
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darum ging es ihm. Er wollte ihren Aufenthaltsort erfahren. An diesen durfte sie nicht denken, durfte ihn sich nicht einmal vorstellen.
    Ein Gedicht aufsagen. Das würde ihn durcheinanderbringen. Ihren Kopf mit Gedanken an etwas anderes füllen.
     
    »Ich weiß’nen Hügel, wo man Quendel pflückt,
Wo aus dem Gras Viol und Maßlieb nickt,
Wo dicht gewölbt des Geißblatts üppge Schatten
Mit Hagedorn und mit Jasmin sich gatten.
Dort ruht Titania, halbe Nächte kühl
Dort ruht Titania , halbe Nächte kühl
Auf Blumen eingewiegt durch Tanz und Spiel.
Die Schlange legt die bunte Haut dort nieder,
     
    Sie machte eine Pause und horchte auf die Stille, die in ihr widerhallte. »Damit habe ich dich jetzt ausgebremst, du Schwein. Damit hast du nicht gerechnet, oder?« Sie sprach laut. »Wenn du nochmal versuchst, in meinen Kopf zu kommen, mach ich dasselbe wieder:
     
    Wahnwitzige Poeten und Verliebte
Bestehn aus Einbildung. Der eine sieht
Mehr Teufel, als die weite Hölle fasst,
Der Tolle nämlich; der Verliebte sieht
Nicht minder irr: die Schönheit Helenas
Auf einer äthiopisch braunen Stirn.«

    Sie unterbrach sich. »Willst du noch mehr Shakespeare hören? Erkennst du dich in den Worten wieder? Du wahnwitzig Toller! Ich kann stundenlang weiter rezitieren. Wenn du dich an eine Englischlehrerin heranmachst, findest du einen Kopf voller Zitate!« Langsam drehte sie sich im Kreis und lauschte. Er war fort. Davon war sie überzeugt.
    Und was war mit Eigon? Hatte er sie auch in Ruhe gelassen?
    Langsam ging sie wieder zum Bett und legte sich, immer noch angezogen, darauf. Sie ließ das Licht brennen, kuschelte sich in die Kissen, und nach einem letzten aufmerksamen Blick durch den Raum schloss sie die Augen.
     
    Eigon saß da, den Rücken an die kalten Steine der zerfallenen Mauer gelehnt, und schaute mit offenen Augen in die Dunkelheit vor sich. Etwas hatte sie geweckt. Titus suchte nach ihr, war derart wütend über ihre Flucht, dass sie seinen Zorn körperlich spürte. Mit aller Macht versuchte sie, ihn aus ihren Gedanken zu verbannen. Welchen Rat hätte Melinus ihr jetzt gegeben? Sie überlegte. Er hätte die Götter um Beistand gebeten. Aber die alten Götter würden ihr als Christin nicht beistehen, und Jesus würde sich nicht gegen einen Römer, der an seine eigenen Götter glaubte - wenn er überhaupt an irgendwelche Götter glaubte -, beschwören lassen. Oder doch? Sie versuchte, sich die Worte des Gebets in Erinnerung zu rufen, das Petrus ihnen beigebracht hatte. Da war eine Stelle, die sie als besonders tröstlich empfand: Erlöse uns von dem Übel. Titus Marcus Olivinus war der übelste Mensch, dem sie je begegnet war. Ein Schauer lief ihr über den Rücken.
    Sie verfiel in einen unruhigen Schlaf, dann war sie wieder wach. Sie hörte Stimmen, und zu ihrer Erleichterung wurde ihr bewusst, dass sie real waren. Vor ihrer Tür redeten
Menschen leise und dringlich miteinander. Sie legte die Decke um die Schultern und schlich nach draußen, um die schlafende Antonia nicht zu stören.
    Mehrere Gestalten saßen um das Feuer. Als Eigon näher kam, warf jemand ein Scheit in die Glut. Eine Flamme loderte auf, und Eigon sah die Gesichter der Männer. Alle wirkten müde und bedrückt.
    »Was ist? Ist etwas passiert?« Sie ging zu ihnen, zitterte in der nächtlichen Kühle hier in den Bergen.
    Marcellus setzte sich auf den Baumstamm, den sie als behelfsmäßige Bank ans Feuer geschleppt hatten. Er fuhr sich übers Gesicht, und seine Handflächen machten auf seinen unrasierten Wangen ein schabendes Geräusch. »Es gibt schlechte Nachrichten. Felicius Marinus und sein Enkel Julius sind gefasst worden.«
    »Nein!« Entsetzt sah Eigon zu ihm. »Ach, bitte, das darf nicht wahr sein.«
    Einer der anderen Männer nickte. »Ich fürchte, es ist nur allzu wahr.« Eigon kannte ihn nicht, er musste angekommen sein, nachdem sie sich schlafen gelegt hatten. Völlig erschöpft ließ er sich neben Marcellus auf den Stamm sinken. »Die Prätorianer kamen zu der Villa, in der wir uns versteckt hatten. Sie wussten genau, nach wem sie suchten. Niemand hatte eine Chance. Die meisten Mitglieder des Haushalts haben sie erstochen, Felicius und Julius haben sie in Ketten abgeführt.«
    »Das heißt, mittlerweile sind sie vermutlich schon tot.« Marcellus starrte mit hängenden Schultern zu Boden.
    »Noch nicht. Sie sind für Neros Zirkus bestimmt. Ich habe gehört, dass ihnen die Christen knapp werden, weil sie so viele in den

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