Die Tochter des Magiers 03 - Die Erwählte
aufstampfte, wohl um die Müdigkeit zu vertreiben. Umati zückte schon ihr Messer, aber Maru bat sie mit Gesten, auch diesen Krieger zu verschonen. Sie erreichten das Ufer nur wenige Schritte von der Stelle, an der Maru an Land gegangen war. Leise glitten sie ins
Wasser und schwammen stromaufwärts. Dort war das Boot, und schwach zeichnete sich der Schemen Tasils vor dem Nachthimmel ab. Maru klopfte gegen den ledernen Rumpf. Tasil hatte sie schon vorher gesehen.
»Du hattest also Erfolg? Gut«, flüsterte er. »Haltet euch fest, wenigstens bis zur Mitte des Stromes.«
»Die Erwachte ist nicht hier«, flüsterte Maru ihm zu.
Tasil nickte knapp, so als habe er das nicht anders erwartet. Sie hielten sich am dünnen Rumpf des Gefährts fest und erreichten schnell die Mitte des Stromes. Tasil half ihnen ins Boot und drückte Maru wortlos ein Ruder in die Hand. Sie schwieg. Da saß er, der Betrüger, der Täuscher, der Zauberei auf sie anwandte. Und er wirkte wie immer. Oder nicht? Es war stockdunkel, aber Maru spürte, dass etwas nicht stimmte. Tasil schien tief in Gedanken zu sein. Am liebsten hätte sie ihn gleich zur Rede gestellt, aber das musste wohl warten – zunächst mussten sie heil über den Fluss und zurück in die Stadt kommen. Sie stemmten sich gegen die Strömung und erreichten das Ufer etwa dort, wo sie aufgebrochen waren. Umati zeigte sich wenig hilfsbereit, und so trugen sie das Boot zu zweit zurück in sein Versteck. Es wurde kein Wort gesprochen. Dann huschten sie auf die Mauer zu. Tasil rief den Namen des Schab leise hinauf. Oben schimmerte kurz Licht über die Mauer, dann schwebte ein halbes Dutzend Schritte entfernt etwas Glühendes herab. Es war ein glimmendes Stück Schilf. Etwas Schwereres folgte ihm nach. Dabei handelte es sich um das Seil. Sie hörten es mehr, als dass sie es sahen, und Maru musste daran denken, was die Bauern in Akyr immer zu sagen pflegten: »Die Nacht ist am dunkelsten, kurz bevor es hell wird.« Eigentlich hatte sie gedacht, dass dies bildlich gemeint sei. Aber offenbar traf das auch ganz wörtlich zu. Sie kletterten nacheinander hinauf, zuerst Tasil, dann Maru, zum Schluss Umati.
Oben hatte Schab Waidar eine verhängte Laterne entzündet. Maru konnte ihn nur erahnen.
»Ich grüße dich, ehrenwerte Umati«, sagte der Schab. »Hier ist ein Umhang für dich, denn es ist besser, man erkennt dich nicht.«
Maru fragte sich, ob das Wasser des Dhanis die graue zweite Haut aus Schlamm und die Zeichen aus Blut abgewaschen hatte. Die Gestalt, die dort am Feuer gesessen hatte, hatte wenig gemein gehabt mit der hoheitsvollen Frau des Immits, die ihr vor einem Jahr in Serkesch zum ersten Mal begegnet war. Selbst bei Tag würde man sie kaum wiedererkennen. Jetzt war es stockfinster. Aber natürlich konnte ein Umhang nicht schaden. Unter Begleitung durch den Schab und zwei seiner Leute eilten sie die Straßen zur Oberstadt hinauf. Maru lief neben Tasil. In ihr tobten widerstreitende Gefühle. Am liebsten hätte sie ihn gepackt und ihm ins Gesicht geschrien, was sie wusste. Ein anderer Teil von ihr sagte ihr, dass dies nicht sehr klug wäre. Und ein dritter Teil fragte sich, ob sie so zurückhaltend war, weil der Zauber, den er gegen sie anwandte, sie so denken ließ. Es war ein weiter Weg hinauf in die Oberstadt und Maru hatte genug Zeit, darüber nachzusinnen. Zu einem Ergebnis kam sie aber nicht. Am Etellu-Tor wurden sie von einer Eschet Axtkämpfer empfangen. Sie nahmen Umati in die Mitte und eilten weiter. Es ging quer über den Edhil-Platz. Ein Karrenschieber ließ seinen Leichenkarren stehen und starrte stumm auf den seltsamen Zug, der an ihm vorüberhastete. Zwei Sklaven, die am Brunnen Wasser holten, gafften ihm hinterher. Sonst war niemand unterwegs. Oben am Himmel berührte die Sonne mit ihren Strahlen schon die wenigen hoch ziehenden Wolken. Das Haus des Immits war ein großes Gebäude, Maru hatte es schon oft gesehen und bewundert. Seine Steine waren weiß, strenge Muster gaben dem Haus Würde und nahmen ihm etwas von der Wucht, die es auf Grund seiner Größe eigentlich hatte. Es lag an der Längsseite des Edhil-Platzes, also gegenüber
des Bet-Kaidhan, doch der Zug steuerte offenbar einen Nebeneingang an. Es ging durch die Straße der Verwalter und dann in eine verschwiegene Seitenstraße. Die Rückseite des großen Hauses lag leblos und dunkel am Straßenrand. Kein Licht begrüßte die Witwe Schaduks. Der Schab pochte leise an die Tür. Sie öffnete sich.
»Schnell,
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