Die Tochter des Magiers
Immerhin kannten sie sich seit Jahren und
waren vertraut mit den Gewohnheiten, den Fehlern und Eigenheiten des
anderen.
Sie stand im Morgengrauen auf – er zog sich noch
einmal die Decke über den Kopf. Er duschte endlos, wobei er das ganze
heiße Wasser verbrauchte – sie nahm Bücher mit in die
Badewanne und blieb, in einen Roman versunken, im Schaum liegen, bis
das Wasser kalt wurde.
Rockmusik dröhnte aus der Stereoanlage, wenn Luke die Auswahl
bestimmte – und seelenvoller Blues, wenn es nach Roxanne ging.
Doch sie hatten auch vieles gemeinsam. Keinem von ihnen wäre
es je eingefallen, sich darüber zu beschweren, einen bestimmten Teil
einer Nummer immer und immer wieder zu üben. Sie schwärmten beide für
die Cajun-Küche, für Filme aus den vierziger Jahren und liebten lange
ziellose Wanderungen durch das Viertel.
Und sie brüllten beide, wenn sie sich stritten – was
im Laufe der nächsten Wochen häufig vorkam.
Doch dadurch blühten sie geradezu auf. Die Reibereien gehörten
ebenso zu ihrer Beziehung wie das Atmen, und beide hätten es bedauert,
wenn es sie nicht gegeben hätte. Während die feuchte Augusthitze sich
über New Orleans senkte, stritten und vertrugen sie sich in schöner
Regelmäßigkeit. Sie knurrten und fauchten sich an, und oft endete alles
in übermütigem Gelächter.
Zu ihrem Geburtstag schenkte er ihr einen eleganten Zauberstab
aus Amethyst, mit dünnem Silberdraht umwickelt und mit Rubinen,
Zitrinen und tiefblauen Topasen besetzt. Sie legte ihn auf den Tisch am
Fenster, und wenn die Sonne darauf schien, pulsierten funkelnde Blitze
durch das Zimmer.
Sie waren rasend verliebt und teilten alles miteinander.
Alles, bis auf das Geheimnis, für das Luke jeden Monat mit einem
Barscheck über zehntausend Dollar zahlte.
Max hatte eine Zusammenkunft einberufen,
aber er ließ sich Zeit, mit der Besprechung anzufangen. Zufrieden
nippte er an LeClercs heißem, mit Zichorien gewürztem Kaffee und genoß
es, wieder einmal seine ganze Familie um sich versammelt zu sehen. Daß
Roxanne und Luke nicht mehr unter seinem Dach lebten, hatte ihm mehr zu
schaffen gemacht, als er jemals angenommen hätte. Dabei wohnten sie nur
ein kleines Stück entfernt.
Trotzdem bedrückte es ihn, daß sich innerhalb kurzer Zeit so
vieles geändert hatte. Seine Kinder waren keine Kinder mehr, und seine
Hände mit den steifen Fingern wollten ihm immer seltener gehorchen.
Selbst seine Gedanken schienen ihm zu entgleiten, was ihn am
meisten erschreckte. Manchmal mußte er innehalten und sich mühsam
besinnen, da er völlig den Faden verloren hatte. Das alles lag
wahrscheinlich nur daran, daß er so vieles im Kopf hatte. Dadurch
erklärte sich auch, warum er sich auf dem Weg zum Französischen Markt
verlaufen und völlig ratlos in einer Stadt gestanden hatte, die er fast
sein ganzes Leben lang kannte. Und warum sollte er sonst immer wieder
alles mögliche vergessen, wie den Namen seines Börsenmaklers, oder wo
LeClerc seit Jahren die Kaffeetassen aufbewahrte? Aber heute, als er
alle um sich versammelt sah, fühlte er sich geradezu wie neugeboren,
und er begann mit zuversichtlicher Stimme zu sprechen.
»Ich glaube, ich habe etwas Interessantes für uns entdeckt.
Eine besondere Juwelensammlung.« Er bemerkte, daß Roxanne zu Luke
hinüberblickte. »Vor allem interessiert mich der Saphirschmuck dieser
Kollektion. Die Dame scheint eine Schwäche für diese Steine zu haben,
aber es gibt auch noch ein recht elegantes Halsband aus Perlen und
Diamanten, das nicht zu verachten ist. Natürlich ist das nur ein
kleiner Teil der Kollektion, aber, wie ich glaube, genug für unsere
Bedürfnisse.«
»Wie viele Stücke?« Roxanne zog ein Notizbuch aus ihrer
Handtasche, um sich die nötigen Informationen zu notieren. Max strahlte
vor Stolz über seine tüchtige und praktische Tochter.
Er verschränkte seine Hände und bemerkte, daß jetzt, da es
wieder etwas zu tun gab, die Schmerzen völlig verschwunden waren. »Zehn
mit Saphiren, zwei Halsketten, drei Paar Ohrringe, ein Armband, zwei
Ringe, eine Anstecknadel und ein Beisteckring. Versichert für eine
halbe Million. Das Halsband wird auf neunzigtausend geschätzt, aber ich
glaube, das ist leicht übertrieben. Achtzigtausend ist wohl
realistischer.«
Luke nahm sich ein Plätzchen von einem Teller, den Lily ihm
reichte. »Haben wir irgendwelche Abbildungen?«
»Natürlich. Jean?«
LeClerc griff nach der Fernbedienung und schaltete Fernseher
und Videorecorder ein. »Ich habe
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