Die Tochter des Magiers
seine Augen vor dem grellen Sonnenlicht und blickt
noch einmal in Richtung New Orleans hinüber. Doch Lily hatte recht. Er
mußte sich jetzt unbedingt konzentrieren. Roxanne würde schon kommen.
So hoch über dem Wasser wehte ein kräftiger Wind, was er
einkalkuliert hatte. Aber er wußte auch, daß die Naturgewalten mit
ihren Launen letztlich unberechenbar waren. Dieser Wind würde ihm ganz
schön zusetzen.
»Fangen wir an.«
Er ging zur markierten Position. Die Zuschauer begannen zu
applaudieren und riefen ihm aufmunternde Anfeuerungen zu. Kameras
richteten sich auf ihn. Nach einigen heiklen Gesprächen war Max
einverstanden gewesen, daß Lily an seiner Stelle die Nummer
präsentierte. Sie griff zum Mikrofon und hob eine Hand, damit Ruhe
eintrat.
»Guten Tag, meine Damen und Herren. Sie haben heute das
außergewöhnliche Vergnügen, eine der gewagtesten Entfesselungsnummern
mitzuerleben, die es je gegeben hat – das ›Brennende Seil‹.«
Sie erklärte den Ablauf der Nummer und stellte die beiden
Polizisten vor, von denen einer aus New Orleans kam, der andere aus
Lafayette. Fachkundig untersuchten die Beamten die Fesseln und die
Zwangsjacke, die Luke verwenden wollte.
Nachdem seine Arme gefesselt waren, legte der Polizist aus
Lafayette die Handschellen an und sicherte sie zusätzlich mit einer
Kette. Der Schlüssel wurde Miß Louisiana übergeben, die in voller
Abendgarderobe samt Tiara erschienen war. Der Kollege aus New Orleans
legte ihm schließlich die Zwangsjacke an.
Das Seil um Lukes Fußgelenke zu binden, übernahm ein
erfahrener Rodeochampion, der Spezialist für Lassos war. Schließlich
spielte die Blaskapelle einer lokalen High-School einen gewaltigen
Tusch. Luke wurde mit dem Gesicht nach unten über die Wasserfläche des
Lake Pontchartrain gesenkt. Irgendeine Frau in der Menge schrie
entsetzt auf, wofür Luke sich im Geist bei ihr bedankte. Nichts war
besser geeignet als eine leichte Hysterie oder ein paar hübsche
Ohnmachtsanfälle, um die dramatische Spannung zu erhöhen. Ein scharfer
Windstoß trieb ihm die Tränen in die Augen. Sein Körper drehte sich und
schwankte. Er arbeitete bereits an den Handschellen.
Er spürte den Ruck, als das Seil sich spannte. Fünf Sekunden
blieben ihm, bevor ein Freiwilliger das Ende des Seils mit einer Fackel
in Brand setzte und das Feuer auf ihn zugekrochen kam. Als der Wind ihn
packte und spielerisch herumwirbelte, mußte er gegen ein für ihn ganz
ungewohntes Schwindelgefühl ankämpfen.
Verfluchte Physik, dachte er. Ein Körper in Bewegung bleibt in
Bewegung. Er schwang wie ein Pendel hin und her, was die Zuschauer
begeisterte, ihm jedoch seine Aufgabe wesentlich erschwerte.
Lukes Befriedigung darüber, daß er inzwischen die Hände frei
hatte, war nur von kurzer Dauer. Er konnte bereits den Rauch riechen.
Geschmeidig wie eine Schlange verdrehte er seinen Körper in der
Zwangsjacke, obwohl ein greller Schmerz durch seine geschundenen
Gelenke schoß. Dann machte er sich eifrig an die Arbeit.
Er war ruhig und konzentriert. Nur ein einziger Gedanke
beherrschte ihn.
Er würde nicht gefangen bleiben.
Lautes Gebrüll drang aus der Menge zu ihm heraus, als die
Zwangsjacke ins Wasser stürzte. Das Rettungsboot, das auf den Wellen
des Sees tanzte, gratuliert mit einem Hornsignal. Obwohl er sich über
die Anerkennung freute, wußte Luke, daß es noch zu früh war, um den
Champagner zu öffnen. Mit einem angestrengten Grunzen spannte er seine
Bauchmuskeln an und reckte sich nach oben, um den Knoten zu lösen, mit
dem der Cowboy seine Füße gebunden hatte. Er wußte, daß das Feuer nur
noch Zentimeter entfernt war und immer näher kam.
Leider hatte der Cowboy einige heikle Knoten geknüpft. Luke
wünschte, er hätte LeClercs Rat befolgt und sich ein Messer in den
Stiefel gesteckt. Aber jetzt war es zu spät, es zu bedauern. Er würde
entweder diese Knoten aufkriegen oder bald seine qualmenden Füße im See
abkühlen.
Er spürte, wie das Seil nachgab. Dieses letzte Stadium
erforderte höchste Aufmerksamkeit. Falls er sich zu rasch befreite,
würde er abstürzen, und wenn er zu lange wartete, würde er die Nummer
mit einer Einlieferung ins Krankenhaus wegen Brandwunden beenden. Weder
das eine noch das andere war besonders verlockend.
Er schlang seine Hände um das zweite Seil, das dünn wie ein
Draht und daher für die Zuschauer unsichtbar war. Luke spürte die Hitze
bereits an seinen Knöcheln, aber inzwischen hatte er sicheren Halt. Er
befreite mit einem
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