Die Tochter des Magiers
er unwillkürlich an
gestern nacht denken und an Roxanne. Obwohl er sich bemühte, diese
Erinnerung zu unterdrücken und sich auf die Befreiung der Arme zu
konzentrieren, dachte er an ihre weiche Haut, die er gestreichelt und
an ihren schlanken Körper, der sich an ihn gedrängt hatte.
O Gott, Herrgott, hatte er sie verführt? Hatten seine
Verwirrung und seine Betrunkenheit dazu geführt, daß er die Phantasien
auslebte, die ihn seit Jahren quälten?
Der Schweiß strömte an ihm herab. Er hatte jedes Zeitgefühl
verloren. Wenn er noch Atem übrig gehabt hätte, hätte er sich selbst
verflucht. Als er endlich die Zwangsjacke abgestreift hatte, fühlte er
sich völlig zerschlagen.
Er bräuchte lediglich an die Kiste zu hämmern – so
wie einst gegen die Schranktür. Nur würde man ihm diesmal öffnen und
ihn herauslassen. Dann konnte er wieder frische Luft atmen.
Ein greller Schmerz durchzuckte ihn, als sein Kopf gegen die
Seitenwand der Kiste schlug, und hinter seinen geschlossenen
Augenlidern sah er Cobbs höhnisch grinsendes Gesicht und hörte seine
widerlichen Lügen.
Ich kann mit ihm fertig werden, dachte sich Luke benommen. Mit
ein bißchen Geld stopfe ich ihm das Maul.
Roxanne. Diese Bilder von Roxanne auf dem Band, das er dem
verängstigten Gerald abgenommen hatte. Er konnte hören, wie ihre Bluse
zerriß, wie sie verlangte, daß er sie losließ, er sah das Blut
spritzen, konnte es fast riechen.
Und wie sie ausgesehen hatte. Gott, wie sie ausgesehen hatte,
als sie mit geballten Fäusten vor ihm stand, wie eine tapfere Amazone,
trotz aller Angst und Wut.
Er hätte sie am liebsten an sich gezogen und so lange
gestreichelt, bis sie aufgehört hätte, zu zittern. Und diesen Gerald
hätte er liebend gern nach Strich und Faden verdroschen.
Und gleichzeitig schämte er sich. Hatte er in seiner
Betrunkenheit Roxanne das angetan, was Gerald nur versucht hatte?
Nein. Das war dummes Zeug. War er nicht wach geworden und
vollständig angezogen gewesen – einschließlich seiner Schuhe?
Ihm war nur hundeübel gewesen von dem Gestank nach schalem Whiskey.
Wenn er mit Roxanne geschlafen hätte, hätte er sich daran erinnert.
Unsicher hob er eine Hand und versetzte sich eine energische
Ohrfeige und gleich noch ein, um den Nebel in seinem Kopf zu vertreiben.
Dann machte er sich wieder an die Fußfesseln und atmete
vorsichtig die dünner werdende Luft ein.
»Es dauert zu lange.« Panik lag in Roxannes
Stimme. »Daddy, er ist volle zwei Minuten über der Zeit.«
»Ich weiß.« Max nahm ihre eiskalte Hand. »Er hat noch Zeit.«
Er verschwieg, daß er in der Garderobe nach einem einzigen Blick auf
Lukes bleiches Gesicht und seine verstörten Augen verlangt hatte, diese
Nummer in der heutigen Vorstellung zu streichen.
Doch Luke hatte entschieden abgelehnt. Der Junge war jetzt ein
Mann, den er nicht mehr herumkommandieren konnte.
»Da stimmt was nicht.« Er mußte längst bewußtlos und kurz vor
dem Ersticken sein. »Verdammt.« Sie wollte gerade in die Kulissen
laufen, um die Schlüssel von Mouse zu holen, als der Deckel der Kiste
mit einem Schlag aufflog. Begeistert applaudierte das Publikum, als
Luke sich schweißgebadet verbeugte und mit tiefen Atemzügen seine
Lungen füllte. Max sah, daß er schwankte und machte Roxanne ein
Zeichen. Sie eilte sofort auf die Bühne, um die Zuschauer mit einigen
Taschenspielertricks abzulenken.
»Idiot. Blödmann. Schwachkopf«, stieß sie zwischen ihren
zusammengebissenen Zähnen hervor, während sie strahlend lächelte, als
sie seinen Arm packte und ihn von der Bühne führte. »Was zur Hölle hast
du getrieben?«
Lily stand schon bereit mit einem Handtuch und einem großen
Glas Wasser. Luke stürzte es bis auf den letzten Tropfen hinunter. Es
war ihm maßlos peinlich, daß er sich so wackelig fühlte.
»Vor allem rauszukommen versucht«, keuchte er und rieb sich
den Schweiß vom Gesicht. Als er schwankte, stützte Roxanne ihn, während
sie ihn weiter ausschimpfte.
»Du hättest heute überhaupt nicht dort reingehen sollen,
nachdem du letzte Nacht derart gesoffen hast.«
»Das ist mein Job«, entgegnete er. Es war ein gutes, ein viel
zu gutes Gefühl, sie so nahe zu spüren. Rasch löste er sich aus ihrem
Arm und ging zu seiner Garderobe. Roxanne heftete sich an seine Fersen.
»Das heißt noch lange nicht, daß du dich umbringen mußt. Und
wenn du …« Sie blieb an der Tür zu seiner Garderobe stehen.
»Oh, Luke, du blutest ja.«
Flüchtig musterte er seine verletzten
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