Die Tochter des Samurai: Roman (German Edition)
du willst, Bruder«, zischte Ito. »Niemand zwingt dich mitzumachen. Lass mich los.«
»Sag’s mir einfach. Was geht hier vor?«
Ito versuchte erneut, sich loszureißen, aber Eijiro war größer und stärker.
»Du hast das Schiff gesehen«, knurrte Ito. »Die kommen heimlich bei Nacht, schicken Barkassen. Diese Polizeispione …« Eijiro gefror das Blut in den Adern. »Mussten es aus ihnen rausprügeln, aber am Ende haben sie gestanden. Haben Botschaften nach Tokyo geschickt und denen erzählt, was wir vorhaben. Ein Regierungsschiff ist auf dem Weg, sagten sie, soll mit Waffen beladen werden und sie wegbringen. Ein Handelsschiff, damit es nicht verdächtig aussieht.« Das erklärte also, wieso dieses anscheinend unschuldige Handelsschiff auf so verstohlene Weise eine Barkasse zu Wasser gelassen hatte. »Wir kommen ihnen zuvor. Das ist Krieg. Es heißt entweder wir oder sie.«
Schaum krönte die Wellen, als etwas Dunkles, lang und schmal, durch das Wasser auf sie zuhielt. Eijiro konnte das Platschen der Ruder und zwei Reihen bleicher Gesichter ausmachen, die immer näher kamen.
»Das ist Krieg …«, wiederholte er leise. Etwas nagte an ihm, eine Erinnerung. Dann fiel es ihm ein.
Damals war er noch ein kleiner Junge gewesen, bei einer der seltenen Gelegenheiten, als General Kitaoka zu Besuch gekommen war. Sie hatten hölzerne Übungsschwerter mit hinausgenommen und miteinander gefochten. Er konnte noch das Aufeinanderkrachen der Klingen hören und den Staub im Sonnenlicht wirbeln sehen, als er vorsichtig durch die enge Straße zurückgewichen war, zwischen den dunklen Holzhäusern der Geishas, wie sein Vater mit seinem Tonnenbauch über ihm aufragte, so riesig und angsteinflößend wie ein Bergriese.
Mehrmals hatte der General sich von ihm zurückschlagen lassen, während Eijiro mit seinem kleinen Schwert auf ihn eingedroschen hatte. Doch dann war er ihm zu Leibe gerückt und hatte ihn auf die Knie gezwungen. Eijiro hatte sich weggeschlängelt und fortlaufen wollen, doch dann hatte er einen Flunsch gezogen, mit dem Fuß aufgestampft und zu heulen begonnen. Sein Vater hatte sich hingehockt und ihn auf seine massigen Schenkel genommen.
»Hör mir zu, kleiner Eiji«, hatte er mit strenger Miene gesagt. »Du bist ein Samurai, ein Kitaoka und ein Samurai. Manchmal gewinnst du, manchmal verlierst du, aber du darfst nie weglaufen. Ein Städter darf weglaufen, ein Samurai jedoch nie. Hast du verstanden?«
»Ja, Herr.« Eijiro hatte sich sehr gerade aufgerichtet, stolz darauf, dass sein Vater ihn für wert befand, auf so ernste Art mit ihm zu reden.
Sein Vater hatte das Gesicht mit den Hängebacken nahe an Eijiros gebracht. »Ein Samurai sorgt sich nie darum, sein Leben zu verlieren. Er sorgt sich darum, seine Ehre zu verlieren. Beschämt zu werden ist viel schlimmer, als das Leben zu verlieren. Ein Samurai ist immer bereit zu sterben – für seinen Fürsten, für seine Ehre. Das ist der Weg des Samurai.«
Eijiro schaute so finster, wie er es vermochte, zog die Brauen auf dieselbe Art zusammen wie sein älterer Bruder Ryutaro. » Hai. Ich habe verstanden.«
»Jetzt du, Ryutaro.«
Ryutaro hatte im Schatten des Geisha-Hauses gewartet. Er hatte gerade seinen Schädel rasiert und das Haar zu seinem ersten Haarknoten gebunden, wohingegen Eijiro, vier Jahre jünger, sein Haar in einer Stirnlocke trug, wie es kleine Jungen taten. Ryutaro war ernst und gesetzt. Er gab sich ganz seinen Studien hin und fand Spielkameraden, um sich im Schwertkampf zu üben, während Eijiro schwerknochig wie sein Vater war und dauernd in Schwierigkeiten geriet – andere Jungen verprügelte, die im Geisha-Distrikt herumstreunten, ihnen die Schnüre durchschnitt, wenn sie zusammen Drachen steigen ließen, Münzen aus der Börse seiner Mutter stahl.
Der General nahm seinen Stock auf. Ryutaro stand ihm gegenüber, den Stock in den Händen, das Gewicht gleichmäßig auf beide Füße verteilt. Diesmal gab es keine Zugeständnisse. Mit einem einzigen Schlag schickte ihr Vater Ryutaro zu Boden und hob seinen Stock zu einem Hieb, der im Ernstfall den Tod bedeutet hätte. Ryutaro wich nicht zurück.
Der General klopfte Ryutaro auf die Schulter, als er auf die Füße kam und sich verbeugte. »Guter Junge.«
Er grinste breit, drehte sich zu Eijiro um und tätschelte ihn mit seiner großen Hand unter dem Kinn. »Ich wünschte, ich könnte bleiben und auch dich nach Art der Samurai ausbilden.« Er seufzte. »Aber ich muss wieder fort. Ryutaro kommt
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