Die Tochter des Samurai: Roman (German Edition)
den Hänseleien von Bunkichi und Zenkichi ausgesetzt. Allein zu sein, war ein seltener Luxus.
Etwas nagte an ihm, weigerte sich, aus seinen Gedanken vertrieben zu werden. Immer wieder musste er an die achtundvierzig Grabsteine denken, ordentlich aufgereiht in ihrer Einfriedung, erhellt vom bleichen Mondlicht. Dräuend schienen sie über ihm aufzuragen, mit schweigendem Tadel auf ihn hinabzublicken, ihn daran zu erinnern, dass er sich eines unverzeihlichen Vergehens schuldig gemacht hatte: Er hatte seine Pflicht missachtet.
Nobu hatte zu den Raufbolden, die Eijiro angegriffen hatten, gesagt, der Krieg sei vorbei, das Gerede von Norden und Süden sei jetzt nichtig, dabei hatte er nur allzu gut gewusst, dass dem nicht so war. Alle Regierungsposten und guten Arbeitsstellen waren von den Satsuma und ihren Verbündeten besetzt, während die Männer der Aizu und der nördlichen Clans zu einem Leben als Dienstboten und Rikscha-Zieher verdammt waren. Wahrlich, die Männer des Südens hielten den Aal des Wohlstands fest am Kopf, wobei die des Nordens – sein Volk – von dessen Schwanz hinabgerutscht waren. Selbst wenn es ihm nicht gelang, seinen Clan und seine Familie zu rächen, sollte er sich zumindest nicht mit der Tochter eines Feindes einlassen.
Beim Gedanken an Taka verzog sich sein Gesicht vor Schmerz. Noch immer konnte er den Duft riechen, mit dem sie ihr glänzendes Haar parfümierte. Seine Gedanken verweilten auf ihrem ovalen Gesicht, ihrer Haut, weich und blass wie eine Pfirsichblüte, ihren großen, ernsten Augen, die anscheinend noch dunkler und faszinierender geworden waren, seit er sie zum letzten Mal gesehen hatte, der anmutigen Art, wie sie die Hände vor den Mund hob und scheu aufblickte, wenn sie lächelte.
Damals waren sie noch Kinder gewesen. Sie, eine schüchterne Vierzehnjährige, gelegentlich ungestüm und selbstsicher, dann wieder vor Verlegenheit errötend, hatte in einer Welt des Wohlstands und der Schönheit gelebt, während er, der arme Dienstbote, nur zuschauen und sie aus der Ferne bewundern konnte. Doch dann hatte dieses liebliche junge Mädchen ihn unter ihre Fittiche genommen, war seine gestrenge Lehrerin geworden und er ihr unbeholfener Schüler. Wie hätte er ihr da nicht vollkommen ergeben sein sollen? Er hatte ja kaum seine eigenen Gefühle verstanden.
In den Jahren ihrer Trennung war seine innige Zuneigung zu ihr zu einem dumpfen Schmerz abgeklungen. Die Erinnerung an sie war ihm im Gedächtnis haften geblieben wie ein Tagtraum und tröstete ihn, wenn das Leben unerträglich wurde. Doch sie zu sehen, hatte seine Sehnsucht aufs Neue entfacht.
So viele Gründe gab es, warum er sie vergessen sollte. Sie war schön und wohlhabend, das allein machte sie für ihn unerreichbar. Am schlimmsten war jedoch, dass sie Kitaokas Tochter war – Kitaoka, der am Kopf der Südarmee marschiert war und dem Norden die Burg von Edo durch Gaunerei abgeluchst, die gutgläubigen Führer des Nordens dazu gebracht hatte, die Burg kampflos zu übergeben. Taka war nicht nur unerreichbar, sie zu begehren bedeutete, alles zu verraten, an das er glaubte und was ihm am Herzen lag – seine Familie, sein Clan, seine Ehre. Sie hatte ihn verhext, dachte er grimmig. Das durfte nicht sein.
Plötzlich wütend, schüttelte er den Kopf, als wollte er den Zauber abschütteln, mit dem sie ihn belegt hatte, boxte sich mit der Faust in die Handfläche und rief: »Du Narr!«, ohne sich darum zu scheren, ob ihn jemand hörte. Er rannte los, auf das Zentrum der Stadt zu, wütend auf sich selbst wegen dieser dummen Vernarrtheit und auf sie, die ihn in die Falle gelockt hatte, hoffte, sie aus seinem Kopf zu vertreiben, wenn er nur schnell genug lief.
Glocken dröhnten aus dunklen Tempeln hinter den Bäumen. Er trabte über die Neue Brücke und durch enge Straßen, die sanft erleuchtet wurden von Lampions vor den geschlossenen Fensterläden der Geisha-Häuser, hörte geisterhaftes Singen, Gelächter und das Klirren von Sakebechern, das von den Vergnügungsbooten auf dem Kanal heraufdrang. Als er stehen blieb, um Luft zu holen und sich den Schweiß von der Stirn zu wischen, vernahm er die harschen Töne eines südlichen Akzents und verzog finster das Gesicht, da ihm einfiel, dass die neuen Herren des Landes ihre Nächte in diesem Teil der Stadt vertändelten. Er war schon einmal mit Mori hier gewesen, hatte mit angezogenen Knien im Vorraum eines der Teehäuser gesessen und zugesehen, wie die großspurigen Bauernlümmel nach den
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