Die Tochter des Teufels
werde es hüten wie mein Augenlicht, Nadja Grigorijewna«, sagte Klobkow, nahm die tausend Rubel und steckte sie flink in die Rocktasche. »Seien Sie ohne Sorge. Suchen Sie Nikolai Georgijewitsch! Helena Nikolajewna wird von uns allen beschützt werden.«
Nadja umarmte die Klobkowa, küßte sogar die unrasierten Wangen Klobkows und drückte dann stumm ihr Kind an sich. So blieb sie ein paar Minuten abseits stehen, während die Familie Klobkow andachtsvoll schwieg … dann gab Nadja das Kind an die Klobkowa zurück, drehte sich mit einer heftigen Bewegung um und rannte aus der Wohnung.
Zwei Tage wartete Nadja in der Kommandantur, bis sie von General Karsanow empfangen wurde. Da man sie nicht mit Gewalt entfernen konnte, übernahm es der Adjutant Karsanows, den General endlich davon zu unterrichten, daß unten eine Frau hocke, die sich nicht abweisen lasse. Sie sähe aus wie eine arme Bürgerin, aber ihr Gesicht und ihre Hände seien von einer merkwürdigen Aristokratie.
»Herauf!« sagte Karsanow kurz. »Das erledigt sich schnell.«
Ein Leutnant führte Nadja in den gleichen Raum, in dem Gurjew gestanden hatte und mit seinem Leben abschloß. General Karsanow, von eisiger Kälte, verzichtete auf jede Höflichkeit. »Was wollen Sie?« bellte er, als Nadja im Zimmer stand.
»Ich grüße Sie von Fürstin Anastasia Petrowna …«, sagte Nadja leise. General Karsanow zog den Kopf ein, in seine Augen trat ein ungläubiges Staunen. Anastasia Petrowna, durchfuhr es ihn. Die kleine süße Fürstin in Zarskoje Selo. Mein Gott, wie verliebt war man damals, und wie hoffnungslos war diese Liebe.
»Wer sind Sie?« fragte er abwartend.
»Ich kenne Sie vom Silvesterball 1913 in Zarskoje Selo, General. Damals waren Sie Oberst. Sie kamen auf mich zu und wollten mit mir tanzen – aber mein Tanzfächer war schon vollgeschrieben. Überall stand Gurjew …«
Die Miene Karsanows verfinsterte sich wieder. »Was ist mit Gurjew?«
»Nikolai Gurjew ist mein Mann.«
Einen Augenblick war es völlig still im Raum. Karsanow zerrte an seinem Uniformrock. »Davon hat er mir nichts erzählt«, sagte er rauh. »Er hat nie Ihren Namen genannt. Wer sind Sie?«
Nadja ließ ihr dickes Kopftuch fallen. Ihr schmales, bleiches, schönes Gesicht ergriff Karsanow.
»Ich erinnere mich …«, sagte er gedehnt. »Nun sind Sie die Frau Gurjews?«
»Ja. Nadja Grigorijewna Gurjewa.«
»Nadja. Natürlich. Mit Anastasia Petrowna sind Sie oft spazierengefahren. In der Kutsche der Zarin. Man sagte, Sie seien eine Tochter …«
»Ich bin es!« unterbrach Nadja.
General Karsanow ging hinter seinem Schreibtisch hin und her. Die Situation war schicksalhaft, das erkannte er. Mit einem Ruck blieb er stehen.
»Nikolai Gurjew ist verhaftet worden!« sagte er laut. »Er ist ein Lump! Admiral Koltschak hat ihn zum Tode verurteilt – ich hatte die Möglichkeit, ihn zur Zwangsarbeit zu begnadigen. Mehr konnte ich nicht tun, als ihm das Leben schenken. Sie haben einen Schuft geheiratet, Nadja Grigorijewna.«
»Einen Träumer, General. Einen Idealisten.«
»Er hat den Zaren verraten!«
»Welcher Irrsinn! Er wollte ihn befreien und wurde selbst verraten!«
»Und warum lebt er noch?«
»Ich habe ihn aus dem Todeskeller Minajews geholt. Ich habe Minajew mit den Brillanten der Zarin bestochen …«
»Das soll Ihnen jemand glauben …«, erwiderte Karsanow gedehnt.
»Ich schwöre es Ihnen, General!«
»Was sind heute noch Schwüre?« Karsanow winkte ab. »Ich werde Ihre Aussagen zu Protokoll geben und an Koltschak nach Omsk weiterreichen. Die Entscheidung liegt bei ihm. Mehr kann ich nicht tun.«
»Und Nikolai …?« fragte Nadja leise.
»Er wird zum Gleisbau nach Ust-Tschenaja geschafft. Er ist nicht allein … vierhundert andere Strafgefangene werden ihn begleiten. Koltschak hat die Deportation Gurjews bestätigt. Der Transport geht übermorgen ab.«
»Und wo … wo ist Nikolai jetzt?«
»Im Lager Iwanowna. Oberst Sinjew leitet den Transport.«
»Ich werde ihn begleiten!« sagte Nadja laut.
General Karsanow verhielt den Schritt und sah Nadja aus großen Augen an.
»Sie haben Mut«, sagte er leise. »Aber was nützt er Ihnen? Sie zu warnen ist sinnlos, das weiß ich – ich kann Ihnen nur sagen, was Sie erwartet: die Hölle!«
Wie eine Siegerin, hoch erhobenen Hauptes, verließ Nadja die Kommandantur von Wladiwostok.
Im Lager Iwanowna warteten die Verurteilten auf den Abmarsch. Es war eine abenteuerliche Gesellschaft, die hier zusammengetrieben worden
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