Die Todesgöttin
kleine Bar sehen, wenn ich den Kopf drehte. Die Stewardess schaute zu mir rüber. In ihrem Blick las ich keine Spur von Freundlichkeit.
Steckte sie vielleicht mit den Helfern der Todesgöttin unter einer Decke?
Ich schaute auf die Uhr.
Wir würden noch einige Stunden in der Luft sein, bis wir Kalkutta erreicht hatten. In der Zeit konnte viel geschehen, und vielleicht gelang es mir auch, die Stewardess aus der Reserve zu locken und sie zu enttarnen.
Die Gelegenheit ergab sich viel früher, als ich gedacht hatte. Die Stewardess verließ ihren Platz hinter der Bar und verschwand in der kleinen Pantry. Ihre Kollegin hielt sich im Passagierraum auf. Sie kümmerte sich weiter vorn um zwei kleine Kinder, denen der Flug zu langweilig geworden war. Die Stewardess las ihnen etwas aus einem dicken Buch vor.
Ich folgte ihrer Kollegin. Die Pantry war schnell gefunden, zudem hörte ich das Klappern von Geschirr. Ich drückte die schmale Tür auf, die lautlos nach innen schwang und dabei einen Luftzug verursachte, der von der Stewardess bemerkt wurde. Sie fuhr herum. Vor Schreck wurde ihr Gesicht bleich. Dann hatte sie sich gefangen und fragte: »Sie wünschen, Sir?«
»Ich will mit Ihnen reden.«
»Sir, es ist uns verboten, mit Passagieren irgend etwas…«
»Reden Sie keinen Unsinn!« Mit diesem Satz und einer wirschen Handbewegung unterbrach ich sie. »Sie wissen genau, aus welchem Grund ich zu Ihnen gekommen bin.«
»Tut mir leid, Sir, ich habe keine Ahnung.«
»Es geht um das Buch.«
»Und? Ich konnte es nicht übersetzen. Oder glauben Sie mir nicht?«
»Ihrer Reaktion habe ich entnommen, dass sie es sehr wohl übersetzen können, aber Sie trauten sich nicht. Sie haben Angst, Mädchen. Hündische Angst vor dieser Kali!«
Jetzt war es heraus. Ich hatte den Namen gesagt, und die Stewardess zuckte zusammen, als hätte ich ihr einen Schlag mit der Peitsche verabreicht.
Sie schwieg weiterhin.
»Stimmt es nicht?«
Ihr Blick wurde starr.
»Gehen Sie!« flüsterte sie scharf. »Gehen Sie bitte, und erwähnen Sie den Namen nicht noch einmal, wenn Ihnen Ihr Leben lieb ist.«
Manchmal kann ich sehr eigensinnig sein. Nicht immer, aber damals hatte ich meinen eigensinnigen Tag. »Ich will wissen, was in dem Buch stand. Bevor Sie mir das nicht gesagt haben, werde ich den Raum hier nicht verlassen. Haben wir uns verstanden?«
»Sie machen einen Fehler, einen sehr großen sogar.«
»Das ist mein Bier.« Ich verschränkte die Arme vor meiner Brust. »Also, ich höre.«
»Nein!« Sie schüttelte den Kopf. »Ich kann es nicht sagen. Ich werde es auch nicht sagen. Ihr Geist würde in mich fahren und mich zu einem Sklaven der Göttin machen. Möchten Sie das?«
»Es sind Ausreden.«
»Das stimmt nicht. Kali ist überall. Sie braucht nicht mehr erweckt zu werden, sie ist schon da. In der Prophezeiung hat es genau gestanden.«
»Dann war es also eine Prophezeiung, was auf den Seiten des Buches stand?«
»Ja.«
»Jetzt brauche ich nur noch den Text, dann ist alles klar.«
»Den kann ich nicht sagen.«
»Und warum nicht?«
»Weil es nicht geht.«
Ich schaute sie etwas mitleidig an. »Sie glauben doch nicht, dass ich mich so ohne weiteres abspeisen lasse. Nein, meine Liebe, Sie haben A gesagt und müssen auch B sagen.«
Sie schüttelte den Kopf. Im hochgesteckten Haar lockerte sich eine Spange, die dunkle Flut fiel an der rechten Seite bis auf die Schulter.
»Den Text!« forderte ich.
Ihr Gesicht verzog sich, als litte sie unter starken Schmerzen. Dann nickte sie, und in ihren Augen glomm plötzlich ein fanatisches Feuer.
»Ja, ich werde dir den Text nennen, Fremder. Du sollst ihn hören!«
Sie sprach die Worte aus.
Harte Worte, kehlige Laute drangen aus ihrem Mund. Ich verstand nicht, was sie sagte, denn die Überraschung hielt mich gepackt. Die Stewardess redete zudem mit einer Stimme, die ihr nicht gehörte, sondern einer fremden Person.
Kali!
Dumpf klang die Stimme. Dumpf und dunkel. Sie drang tief aus dem Rachen, als würde dort jemand sitzen, der für die Frau sprach. Sie betonte jedes Wort anders, und ich brauchte kein Sprachenkenner zu sein, um feststellen zu können, dass sie mir einen Fluch entgegenschleuderte.
Den Fluch der Göttin!
Die Worte trafen mich. Ihre einzelne Bedeutung begriff ich nicht, doch sie hörten sich grausam und gefährlich an. Schlimme Worte, wie ein Mensch sie nie ausstoßen würde, es sei denn, er stünde unter einem Bann, wie eben die Stewardess.
Irgend etwas hatte sich auch
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