Die Todesgöttin
schaffte es der eine Tierfänger nicht, den gebürtigen Engländer in das Boot zu hieven. Er benötigte schon die Hilfe seines Kollegen. Zu zweit klappte es.
Marlowe schien zu schlafen. Allerdings war es ein Schlaf, der mehr einer Ohnmacht glich, selbst als die beiden ihn an der Schulter rüttelten, wurde er nicht wach.
Er murmelte nur einige Worte, die bei genauerem Hinhören auch verstanden wurden und die Männer erschreckten.
Da war von einem Tempel die Rede und von der Totengöttin Kali, dem grauenhaften Geschöpf, vor dem fast alle Inder Angst hatten, ob sie sich nun zu den modernen Bewohnern zählten oder zu den mit der Tradition verwurzelten.
»Kali. Er hat Kali gesagt!« zischte einer der Tierfänger und schaute sich vorsichtig um, als könnte die Totengöttin irgendwo in der grünen Dschungelwand lauem.
»Ja, ich habe es gehört.«
»Ob er sie gesehen hat?«
»Vielleicht.«
»Man spricht davon, dass es hier im Dschungel einen alten Tempel geben soll. Bestimmt hat der Weiße ihn gefunden.«
»Das wäre schlimm.«
Die beiden Tierfänger schwiegen eine Weile. Jeder dachte über das nach, was sie erfahren hatten. Und das war für sie schlimm genug.
»Was sollen wir machen?« fragte der Mann, der zuerst aus dem Boot gestiegen war.
»Wir nehmen ihn mit.«
»Und wohin?«
Darauf wussten die beiden Männer so rasch keine Antwort. »Erst einmal müssen wir ihn auf die Beine kriegen«, schlug der eine vor.
»Das ist auch keine Lösung.«
»Dann sag mir eine bessere, Sabu.«
Sabu schaute auf den völlig Erschöpften. Eine Antwort gab er nicht, dafür kniete er sich hin und tätschelte die Wangen des Mannes. Der Fremde sollte endlich erwachen, damit sie ihm zu hinken und zu essen geben konnten. Proviant befand sich an Bord.
Der Inder hatte Erfolg. Bereits wenig später schlug Jim Marlowe die Augen auf. Sein Blick flackerte. Dem Mann war deutlich anzusehen, dass er über irgend etwas nachdachte oder sich an etwas zu erinnern suchte.
Sabu lächelte. »Sie sind in Sicherheit«, sprach er Marlowe in holprigem Englisch an.
»Wieso? Ich bin doch durch den Dschungel…«
»Trinken Sie das.« Jim bekam eine Flasche gereicht, deren Öffnung er an den Mund setzte, um vorsichtig einige Schlucke zu nehmen. Das Zeug war scharf, und es brannte im Hals. Marlowe schätzte, dass ihm der Mann selbst gebrannten Schnaps zu trinken gegeben hatte. Ein Teufelszeug, das Tote wieder auf die Beine brachte.
Auch ihm ging es besser.
Sabu nahm die Flasche wieder an sich. »Möchten Sie etwas essen?« fragte er dann.
»Nein, ich habe keinen Hunger, danke.« Marlowe setzte sich aufrecht. Er zitterte dabei. Schweiß lag auf seiner Stirn. Der Blick flackerte, als Marlowe den Kopf drehte und über die Bordwand auf die träge dahinfließenden Fluten des Flusses schaute. Die Tierfänger ließen ihn in Ruhe. Er sollte erst einmal zu sich selbst finden, vielleicht würde er dann reden.
Sacht schaukelte das Boot, und Jim Marlowe schloss die Augen. Dann begann er zu berichten. Er tat dies mit leiser Stimme, als hätte er Angst, dass seine Worte an Ohren gelangen konnten, die für sie nicht bestimmt waren.
Er sprach vom Auftrag des Archäologen, dann von dem Flug, der gut begonnen hatte, bis sie in die starke Gewitterfront gerieten und nicht mehr ausweichen konnten. Auch den Absturz verschwieg er nicht und ebenfalls nicht den Weg durch den Dschungel, bis sie den Tempel der Totengöttin gefunden hatten.
Als er davon erzählte, wurden die Tierfänger blass. Sie erinnerten sich wieder an die ersten Worte des Geretteten. Als er noch im tiefen Schlaf der Erschöpfung lag, hatte er ebenfalls von der Totengöttin geredet.
»Ich habe sie gesehen«, flüsterte er. »Ich habe sie deutlich gesehen. Sie hat eine Kette um ihren Hals hängen. Eine Kette aus Menschenköpfen, und ein Kopf ist dazugekommen. Der von dem Archäologen, er hing in der Kette. Ich bin geflohen, gerannt. Ich hatte Angst. Die Göttin ist schrecklich.«
Da sagte er den beiden Tierfängern nichts Neues. Sie hatten sich bereits entschlossen. Tiefer in den Dschungel wollten sie nicht fahren. Wenn Kali zu einem schrecklichen Leben erwacht war, dann musste dies ganz in der Nähe geschehen sein, denn weit hatte der Mann bestimmt nicht laufen können.
»Wir fahren zurück«, ordnete Sabu an.
»Und wohin?« fragte Marlowe.
Sabu war der Ältere. Zudem ein Mann, der viel herumgekommen war. Er kannte einige Leute, wichtige Personen und sogar einen, der sich vor der Totengöttin
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