Die Tore Der Finsternis
Speisekarte. Als sie ihn erblickte, wurde ihre Miene eisig. Aber dann erkannte sie trotz der dezenten Beleuchtung, dass mit seinem Aussehen etwas nicht stimmte.
»Was ist denn mit dir passiert?« Als er sich hinunterbeugte, um sie auf die Wange zu küssen, berührte sie ihn an der Stirn. Es tat weh, vermutlich hatte er dort einen Bluterguss.
»Eine kleine Meinungsverschiedenheit«, erwiderte er. »Sehe ich wenigstens einigermaßen präsentabel aus?« Der Oberkellner stand wartend in der Nähe.
»Bringen Sie dem Herrn bitte einen großen Whisky«, sagte Jean.
»Wie wäre es mit einem guten Malt, Sir?«
Rebus nickte. »Einen Laphroaig, wenn möglich?«
»Und etwas Eis«, fügte Jean hinzu. »In einem Extraglas.« Sie lächelte Rebus an, allerdings mit besorgtem Blick. »Ich fass es nicht, dass ich mit einem Mann zu Abend essen werde, der sich einen Eisbeutel an die Stirn halten wird.«
Rebus betrachtete das Ambiente. »In so einem Laden braucht man das wahrscheinlich nicht selbst zu machen.«
Sie lächelte, diesmal unbefangener. »Geht es dir auch wirklich gut?«
»Ja, Jean, ehrlich.« Er nahm ihre Hand, küsste die Innenseite des Handgelenks. »Dein Parfüm riecht gut«, sagte er.
»Opium«, erwiderte sie. Nickend speicherte Rebus diese Information zur späteren Verwendung.
Das vielgängige Menü war wunderbar. Langsam, aber
sicher entpannte Rebus sich. Jean erkundigte sich nur einmal nach der »Meinungsverschiedenheit«, aber schon nach den ersten Worten von Rebus’ frei erfundener Erklärung brachte sie ihn mit erhobener Hand zum Schweigen.
»Du kannst mir ruhig sagen, dass es mich nichts angeht, aber tisch mir bitte keine Märchen auf. Das kränkt mich.«
»Entschuldigung.«
»Vielleicht hast du ja irgendwann das Bedürfnis, dich mir anzuvertrauen.«
»Vielleicht«, sagte er. Aber er wusste, dass es dazu niemals kommen würde. In all den Jahren seiner Ehe mit Rhona war es nicht geschehen, und er hatte keinen Grund zu der Annahme, dass es dieses Mal anders sein könnte.
Er hatte nur den einen großen Whisky getrunken und anschließend noch zwei Gläser Wein, weshalb er sich nüchtern genug fühlte, um zu fahren. Als einer der Kellner Jean in den Mantel half, fragte er sie, ob er sie nach Hause bringen dürfe. Sie nickte.
Sie fuhren nach Portobello, gesättigt und versöhnt, als akustische Begleitung die Klänge einer alten Fairport-Convention-Kassette. Als sie in die Straße einbogen, in der Jean wohnte, sprach sie gedehnt seinen Namen aus. Er wusste, was sie sagen wollte, und kam ihr zuvor.
»Du willst nicht, dass ich mit reinkomme.«
»Heute Abend nicht.« Sie drehte sich zu ihm. »Ist das schlimm?«
»Natürlich nicht. Kein Problem.« Es gab keine Parklücke, also hielt er in zweiter Reihe vor ihrem Haus.
»Das war ein schöner Abend«, sagte sie.
»Wir sollten ihn bald wiederholen.«
»Es muss ja nicht jedes Mal so viel kosten.«
»Das hat mich nicht gestört.«
»Du hast deine Bestrafung wirklich mit Würde getragen«, sagte sie und lehnte sich zu ihm hinüber, um ihn zu küssen. Ihre Finger berührten sein Gesicht. Er legte beide Hände
auf ihre Schultern, fühlte sich unsicher, fast so wie damals als Teenager. Die erste Verabredung, die Angst, etwas falsch zu machen.
»Gute Nacht, John.«
»Darf ich dich morgen anrufen?«
»Das rate ich dir dringend«, erwiderte sie, während sie die Tür öffnete. »Es passiert selten, dass jemand von mir eine zweite Chance bekommt.«
»Großes Pfadfinderehrenwort«, sagte er, zwei Finger an die rechte Schläfe gehoben. Sie lächelte - und weg war sie. Ohne sich noch einmal umzudrehen, lief sie die Stufen zur Haustür hinauf, schloss sie auf und verschwand dahinter. Das Licht in der Diele brannte bereits - die typische Abschreckungsmaßnahme fauler Leute. Er wartete, bis im ersten Stock - Schlafzimmer und Flur - das Licht anging, dann legte er den ersten Gang ein und machte sich auf den Nachhauseweg.
In der Arden Street gab es keinen Parkplatz für den Saab. Er schaute sich unauffällig um, aber Dickie Diamond schien ihm nirgends aufzulauern. Er parkte zwei Gehminuten entfernt und genoss auf dem Weg zu seiner Wohnung die frische Luft. Es war kühl, fast herbstlich. Der Abend war harmonisch verlaufen, fand er. Das Handy hatte er abgeschaltet, und sein Piepser war ruhig geblieben. Er schaltete sein Handy ein, aber es gab keine neuen Nachrichten.
»Gott sei Dank«, sagte er und öffnete die Haustür. Er wollte sich noch einen Schlaftrunk gönnen
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