Die Tore zur Unterwelt 1 - Das Buch des Dämons: Roman (German Edition)
eigen war: ihre Geldquelle zu beschützen.
Denn der Schrei war aus der Richtung von Mirons Kabine gekommen.
Er weiß nichts, redete sich Asper ein, als sie durch den Gang eilte, er weiß nichts, er weiß nichts, er weiß nichts. Er wird keine Fragen stellen. Er ist nicht klug genug. Er wird nichts verraten. Er weiß nichts.
Mit seinen langen Beinen holte er sie im Handumdrehen ein. Sie spürte seinen Blick und senkte den Kopf.
Die Litanei aus Beschwichtigungen, die sie herunterbetete, fruchtete nichts. Ihr Verstand klammerte sich nach wie vor an die Alternativen. Wenn er nun gar keine Fragen stellen musste? Er hatte den Leichnam gesehen, hatte gesehen, was es war. Er hatte gesehen, wie sie schluchzte. Er war ein Feigling, ein Brigant, ein Wahnwitziger, aber er war nicht dumm. Er konnte sich die Szene ausmalen, die sie sich jetzt ins Gedächtnis rief: wie die Kreatur aus der Dunkelheit auf sie zustürzte, sie instinktiv eine Hand hob und hörte, wie das Froschwesen kreischte …
Er hatte den Schrei gehört.
Hör auf! Hör auf! HÖR AUF! Er weiß nichts … denk … denk jetzt nicht darüber nach. Denk an den Lord Emissär. Denk an den anderen Schrei. Denk an …
Ihre Gedanken und ihre Schritte endeten abrupt, als sie gegen Denaos’ breiten Rücken prallte. Ihre Angst wurde durch Wut ersetzt. Sie schob sich an ihm vorbei, bereit, mit einem verbalen Höllensturm über ihn herzufallen. Aber er beachtete sie nicht, sondern starrte mit offenem Mund in den Gang.
Sie folgte seinem Blick, sah in den Korridor und spiegelte unwillkürlich seinen Gesichtsausdruck.
»Lo… Lord Emissär!«, stieß sie atemlos hervor.
Ein blasser Leichnam lag regungslos in einer Blutlache vor des Unparteiischen Füßen. Mirons Schultern hoben und senkten sich unter seinen abgehackten Atemzügen, und seine Hände zitterten. Seine weiß-blaue Robe war von dem Blut des Angreifers schwarz besudelt. Der Ausdruck ältlicher Liebenswürdigkeit war aus seinem Gesicht verschwunden. Stattdessen war sein faltiges Gesicht vor ungehemmter Wut verzerrt.
»Der Unparteiische«, sagte Denaos und trat zögernd vor. »Seid Ihr verletzt?«
Der Kopf des Priesters ruckte vor Zorn so plötzlich hoch, dass der Assassine einen Schritt zurückwich. Die Augen des Unparteiischen waren schwarze Schlitze, und hinter den gefletschten Lippen leuchteten seine Zähne. Mit fast unnatürlicher Schnelligkeit entspannte er sein Gesicht und sah Denaos mit strahlenden Augen und einem breiten, liebenswürdigen Lächeln an.
»Mir geht es gut, habt Dank für Eure Besorgnis«, antwortete er und holte bebend Luft. »Verzeiht bitte diesen Anblick. Eines dieser …«, er sah verächtlich auf das blasse Wesen herunter, »… eines dieser Scheusale hat mich angegriffen, als ich an Deck wollte, um nachzusehen, was dort vorgeht.«
»Die Kämpfe dauern noch an, Lord Emissär.« Asper trat vor. »Es wäre sicherer, wenn Ihr in Eurem Quartier bliebet.«
»Ja, selbstverständlich«, antwortete er und nickte. »Aber … seid vorsichtig dort oben, meine Freunde. Das sind keine einfachen Piraten.«
»Was meint Ihr damit, Lord Emissär?«, erkundigte sich Asper und sah den Priester fragend an.
Miron öffnete den Mund, um zu antworten, aber Denaos kam ihm zuvor.
»Die Tätowierungen«, stieß der Assassine hervor und beobachtete den Priester scharf. »Stimmt’s?«
»Allerdings«, gab Miron grimmig zurück. »Es ist der Schmuck eines Ordens, der einer Macht dient, die weit grausamer ist als jeder Pirat. Ihr Auftauchen hier ist … gänzlich unerwartet.«
»Eine Macht?«, fragte Asper verwundert. »Es sind … Priester?«
»In gewisser Weise.«
»Aber warum machen sie dann gemeinsame Sache mit den Piraten, Lord Emissär?«
»Für Erklärungen haben wir jetzt keine Zeit«, gab Miron drängend zurück. »Deine Freunde dort oben brauchen deine Hilfe.« Er hob die Hände zu einem Segen. »Geht hin, und Talanas möge Euch bei Eurer …«
Am anderen Ende des Korridors schlug eine Tür zu. Miron fuhr herum. Denaos und Asper blickten über seine Schultern und sahen, wie sich der fünfte Eindringling von dem Quartier des Priesters entfernte. Das Wesen blieb stehen und beobachtete das Trio einen Moment wachsam, während es einen viereckigen Beutel aus Seide fest an seine Brust drückte.
»Lass das fallen, Abschaum!«, brüllte Miron mit einer Wut, die man ihm bei seiner zierlichen Gestalt kaum zugetraut hätte.
Die Antwort des Wesens war ein wildes Zischen, bei dem es das Maul
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