Die Tortenbäckerin
»Danke, Gerlinde. Ich glaube, das könnte funktionieren. Und sobald ich es mir leisten kann, kaufe ich stabile Transportkörbe.« Kurz malte sie sich eine Zukunft aus, in der sie keine Geldsorgen mehr haben würde, dann kehrte sie ins Hier und Jetzt zurück. »Als Nachspeise könnte ich Zitronencreme machen. Dazu ein paar von meinen Vanilleplätzchen.«
Greta seufzte und umfasste den Henkel fester. Sie waren fast an der Tür nach drauÃen, gleich konnten sie den Eimer entleeren. »Wie gern würde ich auch ein süÃes Schokoladeneis herstellen und anbieten. Neulich habe ich beim Trödler eine alte Eismaschine gesehen. Er wollte nur zehn Mark dafür haben. Lediglich die Kurbel müsste repariert werden. Aber ich wüsste wirklich nicht, wie ich Eis transportieren sollte.«
Gerlinde kicherte. »Gewiss nicht auf heiÃen Ziegelsteinen. Das kommt dann als Kakao an.«
Auch Greta musste wieder lachen. Im nächsten Moment traten die beiden Frauen durch die Tür. Ihre frohe Stimmung verschwand mit einem Schlag, als sie sahen, wie Mathilde Voss auf sie zueilte. Ihr Gesicht war zu einer Grimasse aus Angst und Zorn verzerrt, ihr Atem ging schwer, und ihre kräftigen Hände fuchtelten wild in der Luft herum. Greta und Gerlinde setzten gleichzeitig den schweren Eimer ab. Ein wenig Schmutzwasser schwappte heraus und lief über ihre Schnürstiefel. Sie bemerkten esnicht. Beide Frauen ahnten, dass etwas geschehen war. Etwas, das keinen Anlass zur Freude bot.
Die schweren Schritte kamen näher.
»Auf den Dachboden!«, raunte Oliver seinen Freunden zu. »Beeilt euch. Und du, Paul, schlieà die Tür zu Lenis Kammer.«
In dem hellen Sack, den er auf den Armen trug, wisperte Leni: »Das ist Vati. Ich kann ihn riechen.«
So rasch und lautlos wie möglich huschten die Jungen aus der Wohnung. Auch hier zog Paul die Tür zu. Mit etwas Glück, so hoffte Oliver, war der alte Kröger besoffen genug, um Lenis Verschwinden gar nicht zu bemerken. Zwei Stiegen mussten sie nach oben laufen und schlichen gerade auf den Dachboden, als sie hörten, wie unter ihnen Hans Kröger laut fluchend am Türschloss herumfummelte. »Wieso geht das verdammte Ding nicht auf!«, rief er wütend.
Oliver wechselte einen Blick mit Paul, der nur den Kopf schüttelte. Die Behandlung mit dem alten Draht tat nicht jedem Türschloss gut.
»Es ist gar nicht abgeschlossen«, flüsterte er. Dies schien nun auch Hans Kröger zu bemerken und stolperte im nächsten Augenblick mit einem lauten Poltern in die Wohnung.
»Psst«, machte Leni, die von Oliver bis zur Schulter aus dem Sack befreit worden war. Die Jungen konnten nun nicht mehr viel hören, doch Leni berichtete gleich darauf,dass ihr Vati nun nach der Mutti rief. »Aber mich sucht er nicht«, murmelte sie. »Mich vergisst er sowieso sehr oft.« Sie lauschte erneut. »Jetzt hat er in der Küche eine Flasche gefunden. Wenn wir noch ein wenig warten, wird er uns bestimmt nicht hören.«
Oliver nickte, und auch die Freunde stimmten zu. Sie alle hatten ihre eigenen leidvollen Erfahrungen mit trinkenden Vätern oder Onkeln gemacht. Und sie wussten, in seinem Zustand würde Hans Kröger nach zwei oder drei weiteren Schnäpsen nicht mehr mitbekommen, was um ihn herum vorging.
Wenn nur, dachte Oliver beklommen, wenn nur inzwischen nicht auch Lotte Kröger nach Hause kam. Leni schien seine Angst zu teilen. Sie zitterte leicht und schien zu spüren, dass Mittag schon lange vorbei war. Es war Zeit, dass ihre Mutter heimkehrte.
So zögerten die Jungen denn auch keine Sekunde, als Leni nach endlos langen Minuten sagte: »Nun können wir fliehen.«
Ein paar Treppenstufen knarrten, ansonsten verursachte die kleine Gruppe keinerlei Geräusch. Unten auf der StraÃe wandten sich die Freunde nach links und ignorierten die Blicke von Passanten, die sich wohl wunderten, warum einer der Jungen einen groÃen Sack wie ein Baby auf den Armen trug, anstatt ihn sich über die Schulter zu werfen.
Rasch verschwanden sie um zwei Häuserecken. In einer schmalen Gasse, in der es nach Abfall und menschlichen Ausscheidungen stank, befreiten sie Leni aus ihrem Versteck. Oliver nahm sie huckepack, und weiter ging die Flucht. Schon am Ende der StraÃe japste er vor Anstrengung.Leni war leicht, aber er selbst war nicht der Stärkste. Die kaum überstandene Krankheit und das wenige
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