Die Tortenbäckerin
Gefahr warnte.
Greta nahm sich fest vor, von nun an jede Woche nach Barmbeck zu fahren. Sie spürte, dass sie dort öfter nach dem Rechten schauen musste. Seufzend wandte sie ihre Aufmerksamkeit wieder dem Freund zu.
Siggo schwieg schon seit einer Weile, aber Greta ahnte, dass er noch nicht alles gesagt hatte. Als sie jedoch denGroÃ-Neumarkt hinter sich gelassen hatten, nun die Kleine Alster überquerten und auf die prachtvolle Nikolaikirche zuhielten, musste er sich auf den dichter werdenden Verkehr aus Kutschen und Leiterwagen, FuÃgängern, Handkarren und knatternden Automobilen konzentrieren. Voller Bewunderung sah Greta zu dem beinahe hundertfünfzig Meter hohen gotischen Kirchturm auf. Auch die Nikolaikirche war 1842 dem groÃen Brand von Hamburg zum Opfer gefallen, aber man hatte sie um vieles prächtiger wieder aufgebaut, und der Turm war sogar für einige Jahre der höchste der Welt gewesen.
In der ReichenstraÃe nahm das emsige Treiben ein wenig ab. Siggo lieà Moritz die Zügel lang und wandte sich Greta zu. Obwohl sie ihn so gut kannte, versetzte ihr sein Lächeln einen Stich. Weil er keinen Bart trug, war der sanfte Schwung seiner Lippen überdeutlich zu sehen und wollte so gar nicht zu dem kantigen Kinn passen.
»Manchmal dauert es sehr lange, bis man einen Traum aufgeben kann. Aber es lohnt sich.«
Greta hatte das klare Gefühl, er rede von ihr und Christoph. Sie spürte, dass sie rot wurde, und wich seinem Blick aus. Die Ohren konnte sie jedoch nicht verschlieÃen.
»Deiner Tante«, fuhr Siggo fort, »ist es gelungen.«
»Ja«, sagte sie nur und war froh, als sie gleich darauf den MeÃberg erreichten. An diesem Markttag war der Platz von Händlern und Kunden belebt, und Siggo musste die Fahrleine wieder anziehen. Rund um den MeÃberg-Brunnen mit der steinernen Vierländerin hatten Obst- und Gemüsebauern aus den Vierlanden ihre Stände aufgebaut. Die Statue der Bäuerin schaute auf das Treiben. Sie trug die Tracht der Vierlanden mit einem geradezu skandalös kurzenRock und war mit den Attributen eines Gemüsekorbs und eines Schulterjochs versehen.
Nachdenklich betrachtete Greta das magere Obstangebot auf dem Markt. Einzig eingelagerte Ãpfel und schrumpelige Birnen wurden heute verkauft. Erst im Frühjahr würden die Stände wieder überquellen mit Erdbeeren und frühen Kirschen, mit Aprikosen und Marillen.
Greta dachte an ihr Gespräch mit Gerlinde Freesen zu Silvester und erinnerte sich an deren Idee mit den Obsttorten. Bald, nahm sie sich vor. Bald werde ich Zeit dafür finden. Und vor allem musste sie noch das Besondere für ihre Obsttorten finden. Eine Zutat, auf die noch niemand vor ihr gekommen war und die ihre Kreation einmalig werden lieÃ. Greta wusste nicht, was das sein sollte, aber sie vertraute einfach darauf, dass ihr das Richtige schon rechtzeitig einfallen würde. Kurz dachte Greta auch an ihre andere, noch viel verrücktere Idee. Nun, auch hierfür war die Zeit noch nicht reif.
Von der Kutsche aus sah sie sich weiter neugierig um. Korbflechter boten ihre robusten Werke an, ein Scherenschleifer rief die Hausfrauen zu sich, und ein Bäcker stapelte duftende, goldgelbe WeiÃbrote und grobkörnige dunkle Roggenbrote zu einer Pyramide auf.
»Brrr!«, rief Siggo plötzlich laut. Moritz tänzelte nervös zur Seite, die Kutsche wurde mit einem Ruck herumgerissen. Keine zwei Meter von ihnen entfernt fuhr mit lautem Klingeln die elektrische Ringbahn vorbei. Greta wurde gegen Siggo geworfen und hatte Mühe, sich wieder zu lösen. Ihr Puls ging plötzlich schneller, sie spürte, dass sie rot wurde. Zum Glück bekam Siggo davon nichts mit. »Verdammter Fortschritt«, schimpfte er laut, als der Wallachsich wieder beruhigt hatte. »Früher oder später werde ich mit meinen Pferden in der Stadt nicht mehr durchkommen.«
Greta sah der StraÃenbahn nach. Im vergangenen Jahr war die Ringlinie als erste Bahn von Pferdekraft auf Elektroantrieb umgestellt worden. Sie fuhr von St. Pauli zum Berliner Bahnhof und wieder zurück. Weitere Linien folgten, und es war abzusehen, wann die städtische Personenbeförderung gänzlich in der modernen Zeit ankommen würde. Greta selbst hatte nichts gegen den Fortschritt einzuwenden. Wenn sie zum Beispiel in einer Küche an einem modernen Gasherd kochen konnte und vernünftiges Licht hatte, war sie
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