Die Tortenkönigin: Roman (German Edition)
hinein.
»Ich weiß nicht … sie sieht nicht gesund aus …«
Ich wusste nicht weiter.
Eine Pause entstand. Je länger sie dauerte, desto mehr Angst hatte ich vor dem, was er als Nächstes sagen würde.
»Sie ist alt«, sagte er schließlich.
Damit hatte er natürlich recht.
Aber trotzdem … seit wann sah sie so krank und gebrechlich aus? Ich war sicher, dass mein Vater mir etwas verschwieg, aber wie sollte ich …
Ich hatte keine Gelegenheit, meinen Gedanken zu Ende zu denken, denn meine Mutter kam in die Backstube gefegt und verkündete: »Wir sind heute Abend bei deiner Schwester zum Essen eingeladen, Helene. Um sieben bei Susanne und Lutz. Komm bitte nicht zu spät.«
Ich glaubte, mich verhört zu haben. Ihr bestimmender Tonfall machte mich sofort aggressiv.
»Und wenn ich bereits Pläne für heute Abend habe?«
Mist! Mist! Falsche Formulierung!
Sicher und selbstbewusst hatte ich klingen wollen. Ich habe für heute Abend bereits andere Pläne – das hatte ich mit ruhiger, souveräner Stimme sagen wollen, stattdessen klang ich wie eine schnippische Sechzehnjährige.
»Ach?« Sie musterte mich spöttisch. »Was sollten das wohl für Pläne sein?«
»Na, zum Beispiel mit Marie …«
»Marie siehst du jeden Tag. Deine Schwester ist eine überaus beschäftigte Frau, und sie ist deine Familie . Also.«
Verdammt. Ich verlor immer mehr Boden. Würden meine Mutter und ich ein Tauziehen veranstalten, dann schleifte sie mich gerade über die Linie.
»Ich habe keine Lust, den Abend bei Susanne und Lutz zu verbringen.«
»Ob du Lust hast oder nicht, steht hier nicht zur Debatte. Du wirst die Einladung deiner Schwester annehmen. Und zieh dir etwas Ordentliches an. Die Janssens werden auch dort sein.«
Ich schnappte nach Luft. Die Janssens waren so ziemlich die ödesten Menschen, die ich mir vorstellen konnte. Der schmächtige Onno Janssen war der größte und reichste Landmaschinenhändler im weiten Umkreis, seine Gattin Wilhelmine, eine pompöse Matrone, überragte ihn um Haupteslänge und sah aus wie Oliver Hardy ohne Schnauzer. Genau! Jetzt fiel es mir wieder ein! Marie und ich hatten sie immer Dick und Doof genannt, weil sie genauso aussahen wie die berühmten Stummfilmkomiker.
»Das wird todlangweilig!«, begehrte ich auf. »Dann bringe ich Marie mit!«
Der ausgestreckte Zeigefinger meiner Mutter schoss auf mich zu wie ein Pfeil aus einer Armbrust. »Das wirst du schön bleiben lassen«, zischte sie mit funkelnden Augen, »das ist nicht irgendeine Party, bei der egal ist, wer wen mitbringt. Du bist nicht mehr in Paris bei deinen zweifelhaften Künstlerfreunden, hörst du? Du bist wieder in Middelswarfen. Und du wirst dich entsprechend benehmen. Ich habe hier einen Ruf zu verlieren.«
Sie drehte sich um, ohne meine Antwort abzuwarten, und rauschte aus der Backstube.
Ich sah mich Hilfe suchend nach meinem Vater um, aber der zuckte nur mit den Schultern.
Sah so aus, als hätte ich keine Wahl.
KAPITEL 24
Ich war spät dran. Nach meiner Schicht in der Konditorei blieb mir gerade noch die Zeit für eine rasche Dusche.
Marie lachte sich halbtot, als ich ihr von meinem bevorstehenden, mehr als zweifelhaften Abendvergnügen erzählte.
»Ein Dinner mit Dick und Doof? Und Majestix?«, japste sie und warf sich auf mein Bett. »Ich weiß nicht, ob ich dich beneiden oder bedauern soll!«
»Sehr witzig«, grollte ich, während ich, noch im Bademantel, meine Locken striegelte.
»Geh doch einfach nicht hin!«
Das klang in der Tat verlockend, aber da kannte sie Waltraud die Umbarmherzige schlecht. Meine Mutter brachte es fertig, hier aufzutauchen und mich an den Haaren zu Susanne zu schleifen. Das wollte ich mir und allen weiteren Beteiligten ersparen.
»Ich werde mich verabschieden, sobald es die Höflichkeit zulässt«, sagte ich.
Marie rollte sich auf den Bauch und grinste. »Falsch. Sobald Waltraud es zulässt.«
Sie warf sich zur Seite, als meine Bürste knapp an ihrem Kopf vorbeiflog.
Zieh dir was Ordentliches an, hatte meine Mutter gesagt. Ha! Ich schlüpfte in eine Jeans und zerrte mir ein T-Shirt über den Kopf, das vorn mit dem Totenkopflogo und hinten mit den Tourneedaten einer Rockband bedruckt war. Dann zwirbelte ich ein Halstuch zusammen und schlang es mir um den Kopf. Hochhackige grüne Stiefeletten, die einzigen extravaganten Schuhe, die ich mir jemals gegönnt hatte, vervollständigten mein Outfit.
Marie stützte sich auf ihre Ellbogen und musterte mich von Kopf bis Fuß. Dann
Weitere Kostenlose Bücher