Die Tortenkönigin: Roman (German Edition)
Dorfgasthof eintrafen, wo der Leichenschmaus stattfand. Es war heiß, die Räume waren völlig überfüllt. Auf den zum Kaffeetrinken eingedeckten Tischen standen große Kuchenplatten und Thermoskannen mit Tee und Kaffee. Der Gesichtsausdruck, mit dem meine Mutter die Kuchenplatten von der Konkurrenz begutachtete, sprach Bände. »Das hätten wir besser gemacht«, sagte dieser Blick.
Sie, Majestix und Susanne gingen von Tisch zu Tisch, um mit den Gästen zu sprechen, mein Vater hatte sich mit einigen Kollegen an einen Tisch im Hintergrund zurückgezogen. Dort wurde eifrig diskutiert, und von Zeit zu Zeit sahen die Herren neugierig zu mir herüber – bestimmt erzählte Paps von Patricks Auftrag …
Mir wurde schlagartig heiß.
Patricks Auftrag! Ich hatte seit Tagen nicht daran gedacht, und Patrick würde in einem oder zwei Tagen bei mir auf der Matte stehen und einen Stapel Entwürfe erwarten, das war die Abmachung. Unruhig rutschte ich auf meinem Stuhl herum, denn alles drängte mich, diesen Ort sofort zu verlassen und keine weitere Zeit mehr zu verlieren. Aber dann würde meine Mutter komplett ausflippen, obwohl jetzt schon feststand, was weiter passieren würde: In spätestens einer Stunde würden die meisten betrunken sein, denn mittlerweile waren die ersten Runden Schnaps verteilt, und die Stimmung wurde zusehends gelöster.
Ich saß allein an meinem Tisch, und ich fand es gut so, denn so konnte ich über meine Torten nachdenken. Ich winkte eine der Servicekräfte heran – ich wagte es nicht aufzustehen, denn ich hatte Angst, an einen der anderen Tische gebeten zu werden – und bat um einen der kleinen Blocks, auf denen sie die Bestellungen notierten, und einen Stift.
Aber mir wollte einfach nichts einfallen. Ratlos starrte ich auf das leere Blatt, zog ein paar Striche, hielt wieder inne. Natürlich konnte ich hier und jetzt nicht arbeiten. Ich zuckte zusammen, als ich plötzlich angesprochen wurde, und sah hoch. Sven Janssen stand vor mir, in einen dunklen Anzug gezwängt. Sein Doppelkinn quoll aus dem viel zu eng wirkenden Hemdkragen, zusätzlich eingeschnürt durch die Krawatte. Sein Kopf sah aus, als würde er jeden Moment platzen, und wieder einmal fragte ich mich, wie Männer diese Enge am Hals aushielten.
»Darf ich mich setzen?«, fragte Sven.
Ich hätte natürlich die Wahrheit und so etwas wie »Lieber peitsche ich meinen nackten Körper mit Brennnesseln« sagen können, aber das hatte der arme Sven nicht verdient.
Also nickte ich, flötete: »Aber gern, natürlich!«, und er ließ sich mir gegenüber auf den Stuhl plumpsen, der darauf mit deutlich vernehmbarem Ächzen reagierte.
Svens Blick irrlichterte fragend zwischen meinem Gesicht und dem kleinen Block hin und her. Ich beschloss, ihn zu erlösen, und erklärte: »Ich wollte mir ein paar Notizen machen, für diesen großen Auftrag …« Ich verstummte, als mir klar wurde, wie sich das anhörte.
Und richtig: Sein Gesichtsausdruck wechselte von fragend zu verdutzt. Dann platzte er heraus: »Du arbeitest ? Heute? Hier?«
Natürlich hatte er recht. Ich fühlte das Bedürfnis, mich zu rechtfertigen, denn er würde es seiner Mutter erzählen, sie würde es meiner Mutter erzählen – und die würde Amok laufen, wenn sie erfuhr, dass ich bei der Beisetzung meiner Großmutter vor aller Augen gearbeitet hatte … Ich schauderte innerlich. Das Donnerwetter würde alle bisherigen locker in den Schatten stellen.
»Das ist für diesen Auftrag, wir haben doch bei dem Essen letzte Woche darüber gesprochen …?« Das hatten wir doch? Verzweifelt kramte ich in meinem Gedächtnis nach einer entsprechenden Erinnerung.
Svens Gesicht leuchtete kurz auf. »Die Sache mit den Models? Davon hast du erzählt.«
»Ja genau, die Sache mit den Models.«
Also wirklich – die Sache mit den Models . Tss. Typisch Mann. Unfassbar.
»Das findet doch demnächst statt, oder?«
Ich nickte. »In gut zwei Wochen, und das ist auch das Problem. Dieser Termin lässt sich leider nicht verschieben, nur weil …«
Ich biss mir auf die Zunge. Beinahe hätte ich gesagt: »Nur weil meine Oma gestorben ist.«
»Nur weil deine Zeit und Energie anderweitig gebraucht werden«, sagte er verständnisvoll, »und weil du während der letzten Tage nicht dazu gekommen bist.«
Ich war erstaunt, ausnahmsweise jemandem zu begegnen, der Verständnis für meine Situation hatte. Ausgerechnet der tumbe Sohn von Dick und Doof entpuppte sich als Insel der Vernunft im tobenden Chaos. Ich
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