Die Tortenkönigin: Roman (German Edition)
Leben!«
Damit ging der Pathos-Pokal eindeutig an Leon. Ich funkelte ihn an, und Marcel griff hastig den Arm des protestierenden Leon und zerrte ihn in Richtung Bierwagen.
Ich ging in die Hocke und sammelte die Scherben des Tellers ein. Als ich wieder hoch kam, begegnete ich Maries Blick.
»Alles bestens«, sagte ich, warf die Scherben in den Mülleimer und sah mich nach einem Lappen um.
»Wirklich?« Marie klang zweifelnd, kein Wunder.
Ich dachte nach und forschte in meinem Inneren nach einer Antwort auf diese Frage. »Ich glaube schon. Zumindest empfange ich kein gegenteiliges Signal. Ich vermute, ich bin momentan in so einer Art Energiesparmodus unterwegs. Bei jedem Einschlag denke ich: Was soll mich jetzt noch schocken? Und dann passiert die nächste Posse, und ich denke: He, da gab es ja doch noch eine Steigerung, aber jetzt kannst du dich entspannen, schlimmer geht nicht. Wer weiß, vielleicht reißt mich der ganze Mist in einer Woche von den Füßen, aber im Moment habe ich zu tun, und das gilt noch für ein paar Tage. Zum Nachdenken komme ich erst später. Vielleicht besser so.«
»Hm, du klingst mir ein bisschen zu vernünftig, um ehrlich zu sein. Versprich mir, dass du sofort Laut gibst, wenn du eine Auszeit brauchst. Oder von mir aus auch Feierabend.«
Ich versprach es, und wir konnten endlich weiterarbeiten. Eine Durchsage kündigte den Shantychor an, und wieder geriet das Publikum in Bewegung.
»Setzen wir uns raus?« Marie hielt bereits einen Kuchenteller mit Obsttörtchen und einen großen Becher Kaffee in den Händen.
»Aber wir brauchen einen strategisch günstigen Platz, damit Leon sich nicht anschleichen kann.«
Wir fanden den am besten geeigneten Tisch und setzten uns.
»Das ist also Leon«, sagte Marie, die ihn bisher nur von Fotos gekannt hatte. »Und sein guter Freund und Manager Marcel. Wie war das für dich?«
»Als hätte ich einen Film gesehen. Ich kann es immer noch nicht glauben. So einen Zufall kann es doch gar nicht geben.«
»Kann er dir noch gefährlich werden?«
Wieder horchte ich in mich hinein. Regte sich da irgendetwas? Ein zärtliches Gefühl vielleicht, ein bisschen Wehmut? Totenstille. Nichts.
»Ich fühle nicht das Geringste, außer dass ich über die Störung genervt bin und dass er mich von der Arbeit abgehalten hat. Aber wer weiß, vielleicht stehe ich ja derart unter Schock, dass ich einfach nur momentan nichts fühle, und in einer Woche …«
»Reißt der ganze Mist dich von den Füßen, ich weiß«, unterbrach sie mich. »Dann lass uns jetzt nicht darüber sprechen.«
Ein vernünftiger Vorschlag, fand ich. Und noch etwas anderes hatte ich beschlossen, was auch sehr vernünftig war: Ich würde diesen Stand heute nur noch verlassen, um nach Hause zu gehen. Auf keinen Fall würde ich über das Fest schlendern oder womöglich in die Scheune – überall lauerten griechische Tragödien.
»Patrick ist auf dem Weg hierher«, verkündete Marie.
»Allein?«
Sie nickte.
»Dann ist es okay. Ungeordneter Rückzug ist hiermit abgeblasen.«
Wir lachten beide noch, als Patrick an den Tisch trat.
»Gewähren die holden Damen mir für ein paar Minuten Asyl? Ich suche einen Ort, wo ich nicht von idiotischem Geplapper umgeben bin. Dies scheint mit so ein Ort zu sein.«
»Seid willkommen, edler Herr.« Marie lud ihn mit großer Geste ein, sich zu uns zu setzen, und er ließ sich seufzend auf einen Stuhl fallen.
»Wo ist denn das Trio Infernale? Abgehängt? Gefesselt und geknebelt im Watt abgesetzt – und die Flut erledigt den Rest?« Marie grinste breit, und Patrick lachte.
»Nee, die Damen halten am Bierstand Hof und lassen sich Longdrinks ausgeben.«
Das konnte ich mir lebhaft vorstellen: Die versammelte Männerwelt konnte die Brieftaschen bestimmt gar nicht schnell genug aus den Sakkos zerren, um die Scheine fliegen zu lassen. Nur um später, nach dem Urlaub, am Stammtisch zu Hause erzählen zu können, dass sie einem echten Model einen ausgegeben hatten.
»Und jetzt sind da auch noch zwei unglaubliche Schnösel aufgetaucht, von denen einer der Star des Abends ist. Oksana ist völlig aus dem Häuschen, weil der Typ in Frankreich so was wie ein Star ist.«
Leon und Marcel – zusammen mit den Models und Strömen von Alkohol. Das konnte nur ein Desaster geben.
Aber alles nicht mein Problem. Ich würde mich völlig raushalten.
Als Marie und ich wieder an unseren Arbeitsplatz gingen, blieb Patrick draußen sitzen. Er brauche noch etwas Ruhe, er möchte jetzt
Weitere Kostenlose Bücher