Die Tote im Badehaus
eine Mutter-Tochter-Beziehung hatten. Ich erklärte ihm meine Zweifel.
»Wenn Keiko Esmerelda angegriffen und sie dabei mit dem Namen einer anderen Frau angesprochen hat, dann wurde sie auf alle Fälle für eine Außenstehende gehalten, die die Bar nicht kannte«, schlug Hugh vor.
»Das ist viel zu verworren.« Bei Hughs Bemerkung war mir wieder eingefallen, daß mir Mariko bei meinem Besuch in der JaBank erzählt hatte, eine junge Bankangestellte sei von einem Unbekannten überfallen worden. Drei Überfälle an zwei Arbeitsstellen von Mariko; anscheinend wurde sie von jemandem gesucht. Aber weshalb? »Vielleicht hat Keiko Setsuko ausgeschaltet und versucht jetzt, Mariko umzubringen, damit sie Anspruch auf das Erbe des Amerikaners erheben kann«, meinte ich.
»Weshalb sollte sie sie erst jetzt umbringen? Warum hat sie das nicht schon vor zehn Jahren getan? Und was hat mein neuer Laptopakku damit zu tun?«
»Um deinen Akku geht es gar nicht. Aber Keiko war auf jeden Fall irgendwie gerührt, so wie sie die alten Fotos von Setsuko betrachtet hat. Egal, wie sehr sie über Setsuko schimpfen mag, sie ist ihr keinesfalls gleichgültig.«
»In Familienangelegenheiten erhitzen sich die Gemüter leicht. Vielleicht hat die Schwester, die sich mühsam ihren Lebensunterhalt verdienen mußte, die andere beneidet, die den salaryman und das Haus in einem Vorort an Land gezogen hat. Eines Tages war es ihr dann zuviel.«
»Weshalb ist Mr. Nakamura zweimal in ihrer Bar gewesen? Dummerweise habe ich Keiko nicht danach gefragt.« Ich war mittlerweile im Norden von Tokio und fuhr durch dunkle, einsame Straßen.
Vorm Haus langte Hugh nach hinten, um Richard an der Schulter zu rütteln. »Es ist Zeit, aufzustehen, Junge.«
»Was ist mit Rei?« brummte Richard.
»Sie fährt mich nach Hause«, antwortete Hugh, als hätte ich bereits zugestimmt.
»Hast du deinen Schlüssel?« Richard hielt ihn hoch und wankte schläfrig auf das Haus zu.
»Ich bin gleich wieder da«, versprach ich Hugh und stieg schnell aus. Ich empfand merkwürdig mütterliche Gefühle für meinen Mitbewohner.
Der Korridor war dunkel. Der knauserige Vermieter hatte die Beleuchtung mit einem Timer gekoppelt, so daß wir genau drei Minuten Zeit hatten, um die Treppen bei Licht hinaufzusteigen.
»Heute geht mir gar kein Licht auf«, kicherte Richard und fummelte an dem Schalter herum. Ich langte an ihm vorbei und klickte ein paar Mal erfolglos hin und her. Anscheinend war die Glühbirne durchgebrannt. In dem Haus gab es nur noch zwei andere Mieter, und leider hatte keiner von ihnen die Birne ersetzt. Wie immer würde ich es am nächsten Morgen tun.
Die Stufen zur Wohnung kannte ich auswendig, und ich wäre schnell die Treppen hinaufgeeilt, wäre da nicht mein teilnahmsloser Mitbewohner gewesen, dem ich behilflich sein mußte. Es dauerte eine Ewigkeit, bis wir an der letzten Treppe waren, die zu unserem Stockwerk führte. Richard kicherte darüber, daß ich ihn an der Hand nahm.
Nur noch fünf Stufen. Ich setzte entschlossen den Fuß nach vorne und trat ins Leere.
Mit einem Arm packte ich Richard fest, mit dem anderen suchte ich das Geländer. Ich hatte keine Ahnung, was mit der Treppe passiert war. Ich suchte noch einmal und stellte fest, daß die Stufe, auf die ich hatte treten wollen, weg war. Auch darüber befand sich nichts. Ich streckte die Hand aus und fuhr über die unebenen, zersplitterten Ränder, wo vorher die Holzstufen gewesen waren.
»Was’n los, Rei? Mach schon, ich muß mal.«
»Richard, die Treppe ist weg.«
Die Glühbirne konnte keines natürlichen Todes gestorben sein, genauso wie die fehlenden Stufen sich nicht mit Altersschwäche erklären ließen. Die Person, die den Schaden angerichtet hatte, hatte genau die Stufen herausgebrochen, die zu meiner und Richards Wohnung führten.
Dieser Anschlag hatte mir gegolten. Ich sollte hinunterstürzen. Selbst wenn ich es über die enorme Lücke hinweg geschafft hätte, wußte ich nicht, was oben auf dem Treppenabsatz auf mich wartete. Ein weiteres Loch, oder vielleicht derjenige, der die Stufen herausgeschlagen hatte.
»Wir gehen hinunter«, flüsterte ich Richard zu. »Ich gehe voraus.«
Wir waren schneller wieder unten, als wir oben gewesen waren. Während Richard zum Randstein ging, um sich im Mondlicht zu erleichtern, erzählte ich Hugh von der Treppe.
»Ich gehe noch mal mit einer Taschenlampe rein«, sagte er sofort und zog eine aus dem Handschuhfach.
»Du bist zu wackelig auf den
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