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Die Tote im See

Die Tote im See

Titel: Die Tote im See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Chandler
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setzte mich in meinen Ford
    und fuhr zur Nordseite des Sees und ließ mich zusammen mit ein paar miesen Kerlen, wie ich einer bin, vollaufen. Und mir ging’s besser, denn ich war stinkvoll. Genützt hat mir das überhaupt
    nichts. Ungefähr um vier Uhr morgens komme ich nach Hause. Mu‐
    riel war weg, hatte gepackt und war weg. Und hatte nichts hinterlassen außer einem Zettel auf der Kommode und etwas Coldcreme
    auf dem Kopfkissen.«
    Er zog ein Stück Papier mit Eselsohren aus einer schäbigen Briefta‐
    sche und reichte es mir. Mit Bleistift auf blauliniertem Notizbuchpa‐
    pier stand da:
    »Es tut mir leid, Bill, aber ich möchte lieber tot sein als länger mit
    dir zusammenleben. Muriel.«
    Ich gab ihm den Zettel zurück. »Und wie ging’s da drüben weiter?« fragte ich und deutete mit einem Blick über den See.
    Bill Chess hob einen flachen Stein auf und versuchte ihn über das
    Wasser hüpfen zu lassen. Aber der Stein wollte nicht hüpfen.
    »Überhaupt nicht ging’s weiter«, sagte er. »Die drüben packte und
    fuhr noch in der gleichen Nacht runter. Ich hab sie nicht mehr wie‐
    dergesehen. Ich will sie auch nicht mehr wiedersehen. Ich hab den ganzen Monat kein Wort von Muriel gehört. Kein einziges Wort. Ich
    hab überhaupt keine Ahnung, wo sie stecken könnte. Bei einem
    Kerl, wahrscheinlich. Hoffentlich behandelt der sie besser als ich.«
    Er stand auf, holte Schlüssel aus der Tasche und klimperte mit ih‐
    nen. »Falls Sie also rübergehen möchten, um sich Kingsleys Haus 44
    anzuschauen, es steht dem nichts im Wege. Und danke, daß Sie sich
    meinen Kitschroman angehört haben. Und danke für den Schnaps.
    Hier!« Er hob die Flasche hoch und überreichte mir, was von dem dreiviertel Liter noch übrig war.
    Wir gingen die Böschung zum Seeufer hinunter und dann über
    den schmalen Rand des Damms. Bill Chess ließ sein steifes Bein vor
    mir ausschwingen, er hielt sich dabei am Seil fest, das als Geländer
    in eisernen Trägern befestigt war. An einer Stelle floß Wasser in ei‐
    nem trägen Wirbel über den Zement. »Ich werd morgen früh ein
    bißchen durch das Mühlrad ablaufen lassen«, sagte er über die
    Schulter. »Für was anderes taugt das verdammte Ding sowieso
    nichts. Eine Filmgesellschaft hat’s hier vor drei Jahren stehngelassen.
    Die haben hier einen Film gedreht. Der kleine Pier da unten am an‐
    deren Ende ist auch von denen. Das meiste von dem, was die hier aufgebaut hatten, haben sie wieder abgerissen und weggeschafft.
    Aber Kingsley bat sie, den Pier und das Mühlrad stehenzulassen.
    Macht sich ganz malerisch.«
    Ich folgte ihm zu einer Treppe aus schweren Holzstufen, die zur Veranda von Kingsleys Blockhaus führte. Er schloß die Tür auf, und
    wir traten in stickige Wärme ein. Es war fast heiß in dem abge-schlossenen Raum. Das Licht, das durch die Bretter der Fensterläden
    sickerte, zeichnete schmale Streifen auf den Boden. Das Wohnzimmer war groß und gemütlich, mit indianischen Teppichen, gepol‐
    sterten Bauernmöbeln mit Metallbeschlägen, Chintzgardinen, einem
    glatten Holzboden, vielen Lampen und einer kleinen eingebauten
    Bar mit runden Hockern in einer Ecke. Der Raum wirkte ordentlich
    und sauber, nichts deutete darauf hin, daß hier jemand Hals über Kopf abgereist sei.
    Wir gingen in die Schlafzimmer. In zweien standen Doppelbetten.
    Davon war eins ein Riesendoppelbett, über das eine cremefarbene Decke mit pflaumenblauen Wollstickereien gebreitet war. Dies sei das Schlafzimmer der Herrschaften, sagte Bill. Auf einem Spiegel-tischchen aus furniertem Holz standen Toilettenartikel und Zubehör
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    in jadegrüner Emaille und rostfreiem Stahl sowie ein Sortiment
    kosmetischer Kleinigkeiten. Eine Reihe von Coldcremedosen trug
    das geschwungene Goldsignet der Gillerlain Company. Eine ganze
    Wand des Raums bestand aus Einbauschränken mit Schiebetüren.
    Ich schob eine auf und blickte flüchtig hinein. Er war voll von Klei‐
    dern – das, was Frauen so in den Ferien tragen. Bill Chess sah mir verdrossen zu, während ich meine Finger durch die Kleider gleiten
    ließ. Ich schob die Tür zu und öffnete einen tiefen Schuhschrank darunter. Mindestens ein halbes Dutzend neu aussehender Schuhe
    standen drinnen. Ich schloß den Schuhschrank und richtete mich
    auf.
    Bill Chess hatte sich quer vor mir aufgepflanzt, mit vorgerecktem
    Kinn, die Hände zu Fäusten in die Hüften gestemmt.
    »Was interessiert Sie denn an den Damenkleidern so besonders?«
    fragte er mit

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