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Die Tote im See

Die Tote im See

Titel: Die Tote im See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Chandler
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ärgerlicher Stimme.
    »Ich habe schon meine Gründe«, sagte ich. »Zum Beispiel ist Mrs.
    Kingsley nicht nach Hause gekommen, seit sie hier fort ist. Ihr Mann
    hat sie seither nicht gesehen. Er hat keine Ahnung, wo sie ist.«
    Er ließ seine Fäuste sinken und drehte sie langsam zur Seite. »Also
    doch ’n Schnüffler«, knurrte er. »Der erste Eindruck ist immer der richtige. Warum hab ich mir das bloß wieder ausgeredet! Junge, Junge, hab ich mich ausgequatscht. Wie ’n dummes Lieschen, ausgezogen bis aufs Hemd. Junge, Junge, bin ich ein schlaues Ei.«
    »Ich kann ’ne Sache vertraulich behandeln, so gut wie jeder andere
    auch«, sagte ich und ging um ihn herum in die Küche.
    Sie war mit einer großen grünweißen Kochherdkombination, ei‐
    nem mit gelbem Kiefernholz verkleideten Spülstein sowie einem
    Durchlauferhitzer in der Kochnische ausstaffiert und weitete sich auf einer Seite zu einem freundlichen Frühstücksraum aus, mit vielen Fenstern und einem vielteiligen Frühstücksservice aus Keramik.
    Auf freundlich aussehenden Regalen standen bemalte Teller und
    Gläser sowie eine Reihe von Zinnschüsseln.
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    Alles wirkte appetitlich wie ein frischer Apfelkuchen. Man sah
    weder schmutzige Tassen oder Teller auf dem Abwasch noch ver‐
    schmierte Gläser oder in der Gegend herumstehende leere Flaschen.
    Und es gab weder Fliegen noch Ameisen. Was für ein lockeres Leben Mrs. Derace Kingsley auch führen mochte – sie brachte es fertig,
    dabei keineswegs den üblichen Greenwich‐Village‐Kehricht zu hin‐
    terlassen.
    Ich ging zurück ins Wohnzimmer, heraus auf die Veranda, wo ich
    auf Bill Chess wartete, damit er zuschließen konnte. Als er damit fertig war und sich zu mir umdrehte, wobei seine finstere Miene immer noch an der passenden Stelle saß, sagte ich:
    »Ich habe Sie nicht drum gebeten, mir Ihr offenes Herz auszuschüt‐
    ten. Ich habe Sie nur nicht daran gehindert. Kingsley braucht nicht zu
    erfahren, daß sich seine Frau mit Ihnen eingelassen hat. Außer es steckt eine Menge mehr dahinter, als ich jetzt schon sehen kann.«
    »Ach, scheren Sie sich zur Hölle!« sagte er, und die finstere Miene
    blieb genau dort, wo sie die ganze Zeit schon gewesen war.
    »Also gut, zur Hölle mit mir. Aber halten Sie es für denkbar, daß
    Ihre Frau zusammen mit Kingsleys Frau weggegangen ist?«
    »Wie soll ich das verstehen?«
    »Nachdem Sie fortgegangen sind, um Ihren Kummer zu erträn‐
    ken, haben sich die beiden vielleicht gestritten, um sich dann gegen‐
    seitig weinend an die Schultern zu sinken. Dann hat Mrs. Kingsley
    Ihre Frau vielleicht mit hinunter genommen. Ihre Frau mußte doch
    mit irgendwas runterfahren, oder?«
    So albern sich das anhörte, er nahm es dennoch ziemlich ernst.
    »Nein, nein, Muriel weint sich bei niemand aus. Als sie geschaffen
    wurde, hat man die Tränen vergessen. Und wenn sie jemand zum
    Ausheulen gebraucht hätte, dann bestimmt nicht dieses Flittchen.
    Und was den Transport betrifft, so hat sie ihren eigenen Ford. Mit meinem konnte sie nicht umgehen, weil der für mein schiefes Bein umgebaut ist.«
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    »War ja auch nur so ’ne Idee«, sagte ich.
    »Wenn Sie noch mehr solche Ideen auf Lager haben, nur heraus
    damit!« sagte er.
    »Hören Sie, Sie sind ziemlich empfindlich. Ich meine, für jemand,
    der vor einem völlig Fremden eben mal die Hosen total runterläßt«,
    sagte ich.
    Er kam einen Schritt näher auf mich zu. »Wollen Sie mal sehen, wie empfindlich ich bin?«
    »Nun hören Sie mir mal gut zu, Freund!« sagte ich. »Ich gebe mir
    die ganze Zeit die größte Mühe, mich davon zu überzeugen, daß Sie
    im Grunde kein faules Ei sind. Könnten Sie mir dabei nicht ein biß‐
    chen helfen?«
    Er atmete einen Augenblick schwer, ließ dann die Hände sinken
    und öffnete sie hilflos.
    »Junge, Junge, muß ich ’ne angenehme Gesellschaft sein«, seufzte
    er. »Wollen wir zurück um den See gehen?«
    »Aber sicher. Wenn’s nicht zuviel für Ihr Bein wird.«
    »Ich mach das schließlich nicht zum ersten Mal.«
    Wir gingen Seite an Seite los, freundlich wie zwei artige Kinder beim Sonntagsspaziergang. Vielleicht würde das fünfzig Schritte
    lang anhalten. Der Waldweg, der breit genug für Autos angelegt war, führte am Ufer des Sees lang, wobei er immer wieder größeren
    Felsbrocken auswich. Ungefähr auf halbem Wege zum anderen En‐
    de des Sees stand das zweite Blockhaus auf einem Felsvorsprung.
    Das dritte stand am gegenüberliegenden Seeufer, fast auf ebenem

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