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Die Tote im See

Die Tote im See

Titel: Die Tote im See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Chandler
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Boden auf der Höhe des Sees. Beide hatten verschlossene Fensterlä‐
    den und wirkten leer und lange verlassen.
    Nach ein oder zwei Minuten sagte Bill Chess: »Das ist also wahr,
    das gute kleine Flittchen ist also abgehauen?«
    »So sieht’s aus.«
    »Sind Sie ’n echter Bulle oder nur ’n Privater?«
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    »Nur ’n Privater.«
    »Ist sie mit ’nem Kerl weg?«
    »Anzunehmen.«
    »Aber bestimmt. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche.
    Auch Kingsley müßte da drauf kommen. Bei den vielen Kerlen, die
    sie hatte.«
    »Auch hier oben?«
    Er antwortete nicht.
    »Hieß einer davon zufällig Lavery?«
    »Wie soll ich das wissen«, sagte er.
    »Um den braucht man kein Geheimnis zu machen«, sagte ich. »Sie
    hat ein Telegramm von El Paso geschickt, daß sie mit Lavery nach Mexiko gehen will.« Ich grub das Telegramm aus meiner Tasche
    und hielt es ihm hin.
    Er fummelte seine Brille aus seinem Hemd und blieb stehen, um es
    zu lesen. Er gab mir das Papier zurück, steckte seine Brille wieder weg und starrte über das blaue Wasser.
    »Das war ein kleiner Beweis dafür, daß ich Vertrauen gegen Ver‐
    trauen setze«, sagte ich.
    »Lavery war einmal hier oben«, sagte er langsam.
    »Er hat schon zugegeben, daß er sie vor ein paar Monaten getrof‐
    fen hat, möglicherweise hier oben. Aber er behauptet, daß er sie seitdem nicht mehr wiedergesehen hat. Wir wissen nicht, ob wir ihm glauben sollen. Wir haben keinen Grund, ihm zu glauben, aber
    auch keinen, ihm nicht zu glauben.«
    »Dann ist sie jetzt also nicht mit ihm zusammen?«
    »Er sagt nein.«
    »Ich glaub nicht, daß sie sich mit solchen albernen Kleinigkeiten wie Heiraten überhaupt aufhält«, sagte er trocken. »Flitterwochen ohne Standesamt in Florida, das paßt eher zu ihr.«
    »Aber irgendwas Handfestes können Sie mir auch nicht sagen? Sie
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    haben sie nicht weggehen sehen oder was gehört, das wie ’n Hinweis klingt?«
    »Nee«, sagte er. »Und wenn ich was gehört hätte, würde ich’s Ih‐
    nen kaum auf die Nase binden. Ich bin ein Dreckskerl, aber so drek‐
    kig nun auch wieder nicht.«
    »Na gut. Und vielen Dank für Ihre Mühe«, sagte ich.
    »Ich bin Ihnen nichts schuldig«, sagte er. »Scheren Sie sich zur Hölle, mitsamt allen gottverdammten Schnüfflern.«
    »Also das Ganze noch mal von vorn«, sagte ich.
    Wir waren am Ende des Sees angelangt. Ich ließ ihn da stehen und
    ging zum kleinen Pier. Ich lehnte mich über das Holzgeländer am Rand des Piers und sah, daß das, was von weitem den Eindruck eines kleinen Musikpavillons gemacht hatte, in Wirklichkeit nichts weiter war als zwei abgestützte Mauerstücke, die sich in einem stumpfen Winkel auf der Seite des Damms trafen. Ein ungefähr
    zwei Fuß weit überhängendes Dach war wie eine Kappe auf die
    Mauern gesetzt.
    Bill Chess trat von hinten an mich heran und lehnte sich neben mir
    ans Geländer.
    »Nicht daß ich wegen dem Schnaps undankbar wirken möchte«,
    sagte er.
    »Ja, ja. Gibt’s hier Fische?«
    »Ein paar schlaue alte Hurensöhne von Forellen. Keine jungen. Ich
    selbst mache mir nicht viel aus Fischefangen. Ich ärgere mich nicht
    damit herum. Es tut mir leid, daß ich wieder grob geworden bin.«
    Ich grinste, beugte mich über das Geländer und blickte in das tiefe
    stille Wasser hinunter. Es leuchtete grün, wenn man von oben hin‐
    einblickte. Plötzlich entstand ein Wirbel und eine flinke grünliche Gestalt bewegte sich im Wasser.
    »Das ist Opa«, sagte Bill. »Schaun Sie sich das Gewicht des alten Hurensohns an. Sollte sich was schämen, daß er so fett ist.«
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    Tief unter dem Wasser konnte man etwas entdecken, das wie ein
    Plankenboden aussah. Ich konnte mir den Sinn der Bohlen nicht
    erklären, also fragte ich ihn.
    »Hier war mal ein Bootsanlegeplatz, bevor der Damm gebaut
    wurde. Durch den Damm hat sich der Wasserspiegel so gehoben,
    daß der alte Landesteg jetzt sechs Fuß unter Wasser liegt.«
    Ein flaches Boot scheuerte leicht gegen das abgenutzte Seil, mit dem es an einem Pfosten des Piers festgemacht war. Es lag fast bewegungslos im Wasser. Die Luft war friedlich und still und sonnig
    und verströmte einen Frieden, wie man ihn in Städten nicht für Geld
    kaufen kann. Ich hätte hier stundenlang stehenbleiben können, ohne
    etwas zu tun, außer zu vergessen, daß es Derace Kingsley, seine Frau und ihre Freunde überhaupt gab.
    Plötzlich spürte ich eine heftige Bewegung an meiner Seite, und Bill Chess sagte: »Schauen Sie! Da!« mit einer Stimme, die

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