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Die Tote im See

Die Tote im See

Titel: Die Tote im See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Chandler
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Patton.
    Die beiden Wagen fuhren bis zum Ufer des Sees weiter, und dann
    zogen wir zu viert im Rücken von Bill Chess zum Pier hinunter. Der
    Doktor blieb stehen, hustete gequält in sein Taschentuch, das er an‐
    schließend gedankenvoll betrachtete. Er war ein eckiger, knopfäugi‐
    ger Mann mit einem traurigen kranken Gesicht.
    Das Etwas, das einmal eine Frau gewesen war, lag mit dem Ge‐
    sicht nach unten auf den Brettern, mit einem Seil unter den Armen.
    Die Kleidungsstücke von Bill Chess lagen auf der Seite. Sein steifes
    Bein mit dem flachen und vernarbten Knie hatte er ausgestreckt, das
    andere angewinkelt und seine Stirn dagegen gepreßt. Er bewegte
    sich nicht und blickte auch nicht auf, als wir zu ihm traten.
    Patton nahm die Flasche Mount Vernon aus seiner Hüfttasche,
    schraubte den Verschluß auf und reichte sie ihm.
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    »Nimm ’n tüchtigen Schluck, Bill.«
    In der Luft lag ein gräßlicher, ekelerregender Geruch. Bill Chess schien ihn nicht wahrzunehmen, ebensowenig Patton und der Doktor. Der Mann, der Andy hieß, holte eine verstaubte braune Decke aus dem Wagen und breitete sie über den Körper. Dann ging er oh-ne ein Wort zu sagen zur Seite und übergab sich an einer Fichte.
    Bill Chess nahm einen tiefen Schluck und saß dann da, die Flasche
    gegen sein angezogenes Knie gedrückt. Er begann mit steifer hölzerner Stimme zu sprechen, wobei er niemanden ansah und auch zu
    niemandem direkt sprach. Er sprach von seinem Streit und was da‐
    nach geschah, aber nicht, warum es geschah. Er erwähnte Mrs.
    Kingsley nicht einmal nebenbei. Er sagte, daß er sich ein Seil genommen habe, nachdem ich weg war. Daß er sich ausgezogen habe,
    ins Wasser gestiegen sei und das Etwas herausgeholt habe. Er habe
    es an Land gezogen und dann auf die Schulter genommen und es hinaus auf den Pier getragen. Er wisse nicht, warum. Er sei dann wieder ins Wasser gestiegen. Er mußte uns nicht sagen, warum.
    Patton schob eine Scheibe Tabak in seinen Mund und kaute
    schweigend darauf herum, seine ruhigen Augen waren voll Ver‐
    schlossenheit. Dann klappte er die Zähne fest zusammen und beug‐
    te sich vor, um die Decke vom Körper wegzuziehen. Er drehte den
    Körper vorsichtig um, so als ob er sonst in Stücke zerfallen würde.
    Die späte Nachmittagssonne glitzerte im Halsband der großen grü‐
    nen Steine, die zum Teil inden verquollenen Nacken eingesunken waren. Es waren grob geschliffene Steine, matt wie Seifenstein oder
    falsche Jade. Eine Goldkette mit einem Sicherheitsverschluß und mit
    kleinen Brillanten besetzt hielt die Steine zusammen. Patton richtete
    seinen breiten Rücken auf und schneuzte seine Nase in ein braunes
    Taschentuch.
    »Was meinst du, Doc?«
    »Wozu?« krächzte der knopfäugige Mann.
    »Todesursache und Zeitpunkt.«
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    »Sei kein Esel, Jim Patton.«
    »Läßt sich nicht viel sagen, wie?«
    »Vom bloßen Angucken? Guter Gott!«
    Patton seufzte. »Sieht richtig ertrunken aus«, sagte er zustimmend.
    »Aber man kann’s nicht sicher sagen. Es hat Fälle gegeben, wo das
    Opfer erstochen oder vergiftet oder sonstwas worden war. Und
    dann hat man’s im Wasser eingeweicht, damit es nach was anderem
    aussieht.«
    »Du hast wohl schon viele solche Fälle hier oben gehabt?« fragte der Doktor boshaft.
    »Den einzigen Mord, den ich, so wahr mir Gott helfe, hier oben hatte«, sagte Patton, während er Bill Chess aus den Augenwinkeln beobachtete, »war der alte Papa Meacham drüben am Nordufer. Er
    hatte eine Hütte im Sheedy Canon und wusch im Sommer ein biß‐
    chen Gold aus einem alten Claim, den er in einem Tal in der Nähe
    von Belltrop besaß. Die Leute hatten ihn im Herbst zuvor längere Zeit nicht mehr gesehen. Dann kam der viele Schnee, und sein Dach
    drückte es auf einer Seite ein. Also sind wir rüber und haben versucht, das ein bißchen in Ordnung zu bringen, weil wir dachten, Papa sei für den Winter hinuntergegangen, ohne jemand was zu
    sagen, wie’s die alten Goldgräber so an sich haben. Aber, der Teufel
    soll mich holen, der alte Papa war überhaupt nicht weg. Da lag er im
    Bett. Und ein Gutteil von einem Beil für Brennholz steckte in seinem
    Kopf. Wir haben niemals herausgekriegt, wer es war. Jemand muß geglaubt haben, daß er einen kleinen Sack voll Gold von seiner Sommergraberei versteckt hatte.«
    Er sah nachdenklich zu Andy. Der Mann mit dem Löwenjägerhut
    spielte mit der Zunge an einem Zahn. Er sagte:
    »’türlich wissen wir, wer’s war. Guy Pope war’s. Nur, Guy

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