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Die Tote im See

Die Tote im See

Titel: Die Tote im See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Chandler
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fünfköpfige Hillbillyband in schlechtsitzenden wei‐
    ßen Jacketts und purpurroten Hemden gegen das lärmende Lokal
    anzukämpfen und lächelte mit glasigen Blicken in den Nebel aus 65
    Zigarettenrauch und in das Geplärr der alkoholfeuchten Stimmen.
    In Puma Point lief der Sommer, diese entzückende Jahreszeit, auf vollen Touren.
    Ich schlang in mich hinein, was die Karte als reguläres Abendme‐
    nü annonciert hatte, und trank einen Brandy, um das Essen unter Verschluß zu halten und am Hochkommen zu hindern und ging
    hinaus auf die Hauptstraße. Es war immer noch taghell, aber einige
    Neonreklamen waren schon eingeschaltet, und der Abend torkelte
    durch das muntere Getöse aus hupenden Autos, kreischenden Kin‐
    dern, ratternden Bowlingkugeln, klirrenden Whiskygläsern, dem
    fröhlichen Geballer der 22er an den Schießbuden, dem irren Gedu‐
    del der Musikboxen, und hinter alldem hörte man vom See das
    hartbellende Röhren der Rennboote, die ziellos herumrasten und
    sich aufführten, als gälte es ein Rennen gegen den Tod zu gewinnen.
    In meinem Chrysler saß ein schmales, ernst dreinblickendes brü‐
    nettes Mädchen in dunklen Hosen, rauchte und unterhielt sich mit einem recht selbstbewußten Cowboy, der auf meinem Trittbrett saß.
    Ich spazierte ums Auto herum und stieg ein. Der Cowboy schlenderte, sich die Jeans hochziehend, fort. Das Mädchen blieb, wo es war.
    »Ich bin Birdie Keppel«, sagte sie munter. »Tagsüber arbeite ich in
    einem Schönheitssalon und am Abend als Reporter für das Puma
    Point Banner. Verzeihen Sie, daß ich mich einfach in Ihr Auto gesetzt habe.«
    »Ist schon in Ordnung«, sagte ich. »Wollen Sie sich nur ein wenig
    ausruhen oder soll ich Sie irgendwohin fahren?«
    »Wenn’s Ihnen nichts ausmacht, Mr. Marlowe, sich ein paar Minu‐
    ten mit mir zu unterhalten, könnten Sie vielleicht ein Stückchen wei‐
    terfahren, bis die Straße ruhiger wird.«
    »Eure Buschtrommeln funktionieren ja vorzüglich«, sagte ich und
    ließ den Motor an.
    Ich fuhr am Postamt vorbei bis zu einer Ecke, an der ein blauwei‐
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    ßer Richtungsweiser mit der Aufschrift »Telefon« in eine enge Stra‐
    ße in Richtung See zeigte. Ich bog in die Straße ein, fuhr am Haus der Telephone Company vorbei, einem langgestreckten Blockhaus
    mit einem winzigen eingezäunten Rasen, passierte ein weiteres
    Haus und hielt vor einer hohen Eiche, die ihre Krone gute fünfzig Fuß hoch über die Straße breitete.
    »Tut’s das hier, Miss Keppel?«
    »Mrs. Keppel. Aber nennen Sie mich einfach Birdie. So nennen
    mich alle. Hier ist’s in Ordnung. Nett, Sie kennenzulernen, Mr. Mar‐
    lowe. Wie ich höre, kommen Sie aus Hollywood, dem Sündenba‐
    bel.«
    Sie streckte mir eine kräftige braune Hand entgegen, und ich
    schüttelte sie. Beim Eindrehen der Lockenwickler an fetten Blondi-nen hatte sie sich offenbar einen Griff zugelegt, der mich an die Zangen der Eismänner erinnerte.
    »Ich habe mit Doc Hollis über die arme Muriel Chess gesprochen«,
    sagte sie. »Ich dachte, daß Sie mir ein paar Einzelheiten erzählen könnten. Sie haben sie doch gefunden, wenn ich das richtig verstanden habe.«
    »Eigentlich hat sie Bill Chess gefunden. Ich war nur dabei. Haben
    Sie schon mit Jim Patton gesprochen?«
    »Noch nicht. Er ist hinuntergefahren. Ich glaube auch nicht, daß er
    mir viel erzählen wird.«
    »Er will wiedergewählt werden«, sagte ich, »und Sie sind von der
    Zeitung.«
    »In dieser Beziehung ist Jim kein Politiker, Mr. Marlowe. Und es wäre auch übertrieben, mich für eine Journalistin zu halten. Das kleine Blättchen, das wir herausgeben, ist eine ziemlich unprofes-sionelle Angelegenheit.«
    »Also, was wollen Sie wissen?« Ich bot ihr eine Zigarette an und gab ihr Feuer.
    »Erzählen Sie mir doch einfach die ganze Geschichte.«
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    »Ich bin mit einem Brief von Derace Kingsley hierher gekommen,
    um mir sein Grundstück anzusehen. Bill Chess hat mich herumge‐
    führt, sich mit mir unterhalten, mir erzählt, daß ihm seine Frau weggelaufen sei, und hat mir den Schrieb gezeigt, den sie hinterlassen hat. Ich hatte ’ne Flasche bei mir, und er verkümmelte sie. Er wurde ziemlich traurig. Der Alkohol lockerte ihn auf, er fühlte sich
    einsam, wollte jedenfalls sein Herz ausschütten. Das war alles. Ich hab ihn vorher nicht gekannt. Als wir ans Ufer des Sees zurückkamen, gingen wir auf den Pier hinaus, und Bill entdeckte einen Arm,
    der unter einer Planke unten im Wasser herausragte. Es stellte

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