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Die Tote im See

Die Tote im See

Titel: Die Tote im See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Chandler
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Professor für klassische Philologie an der Redlands
    University.« Sie lachte ein wenig.
    »Sie hätten eine Story daraus machen können«, sagte ich.
    »Sicherlich. Aber hier oben sind wir zuerst Menschen.«
    »War dieser De Soto bei Jim Patton?«
    »Sicherlich. Er muß doch wohl bei ihm gewesen sein. Aber Jim hat
    es nie erwähnt.«
    »Hat er Ihnen seine Marke gezeigt?«
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    Sie überlegte und schüttelte dann den Kopf. »Ich kann mich nicht
    erinnern, daß er’s getan hätte. Wir haben ihm einfach abgenommen,
    was er sagte. Er hat sich aber auch ganz wie ein richtiger grober Stadtbulle aufgeführt.«
    »Für mich spricht das eher dagegen, daß er einer war. Hat jemand
    Muriel von dem Kerl erzählt?«
    Sie zögerte und sah lange ruhig durch die Windschutzscheibe, be‐
    vor sie mir ihren Kopf zuwandte und nickte.
    »Ich hab’s ihr erzählt. Dabei ging es mich doch einen Dreck an, nicht wahr?«
    »Was hat sie gesagt?«
    »Sie hat überhaupt nichts gesagt. Sie lachte ein wenig, komisch verlegen, so als hätte ich einen schlechten Witz gemacht. Dann ging
    sie weg. Aber ich hatte den Eindruck, daß ihre Augen sonderbar blickten, wenn auch nur für einen kurzen Moment. Interessieren Sie
    sich immer noch nicht für Muriel Chess?«
    »Wozu denn? Ich hatte, bevor ich heute nachmittag hier herauf‐
    kam, noch nie von ihr gehört. Wirklich nicht. Und ich habe auch nie
    von einer Mildred Haviland gehört. Soll ich Sie in die Stadt zurück‐
    fahren?«
    »O nein, vielen Dank! Ich möchte zu Fuß gehen. Es sind nur ein paar Schritte. Ich bin Ihnen sehr verbunden. Ich hab so etwas wie eine schwache Hoffnung, daß Bill noch nicht völlig in der Klemme
    steckt. Besonders nicht in so einer scheußlichen Klemme.«
    Sie stieg aus und sagte, während sie, mit einem Fuß noch im Wa‐
    gen, den Kopf schüttelte und lachte: »Die Leute behaupten, daß ich
    eine recht gute Kosmetikerin bin. Ich kann nur hoffen, daß das wahr
    ist. Denn als Reporterin bin ich eine einzige Katastrophe. Gute Nacht!«
    Ich sagte gute Nacht, und sie ging fort, in den Abend hinein. Ich blieb sitzen und sah ihr nach, bis sie die Hauptstraße erreicht hatte
    und aus meinem Blickfeld verschwand. Dann stieg ich aus meinem
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    Chrysler und ging hinüber zum kleinen rustikalen Gebäude der
    Telefongesellschaft.
    Ein zahmes Reh mit einem Lederhalsband spazierte vor mir über
    die Straße. Ich streichelte seinen Nacken und das rauhe Fell und ging ins Haus der Telefongesellschaft. Ein kleines Mädchen in Hosen saß mit ihren Büchern beschäftigt an ihrem kleinen Tisch. Sie sagte mir die Gebühren für Beverly Hills und gab mir das nötige Wechselgeld. Die Telefonzelle sei draußen, an der Straßenseite des Hauses.
    »Hoffentlich gefällt es Ihnen hier oben«, sagte sie. »Es ist hier sehr
    ruhig und sehr erholsam.«
    Ich zwängte mich in die Telefonzelle. Für neunzig Cent konnte ich
    fünf Minuten lang mit Derace Kingsley sprechen. Er war zu Hause,
    und ich kam mit meinem Anruf rasch durch, aber die Leitung war
    voller Störungen.
    »Haben Sie da oben was rausgefunden?« fragte er mich mit einer
    Stimme, auf der schon einige Whiskys schwammen. Er klang wieder
    grob und anmaßend.
    »Mehr als genug!« sagte ich. »Aber nichts von dem, was wir suchen. Sind Sie allein?«
    »Was spielt das für eine Rolle?«
    »Für mich überhaupt keine. Aber ich weiß, was ich Ihnen zu er-zählen habe. Sie nicht.«
    »Legen Sie schon los! Was es auch sein mag«, sagte er.
    »Ich habe mich lange mit Bill Chess unterhalten. Er fühlte sich ein‐
    sam. Seine Frau hat ihn verlassen. Einen Monat ist das her. Sie hat‐
    ten Streit, und er ist weggegangen und hat sich vollaufen lassen.
    Und als er zurück nach Hause kam, war sie fort. Sie hat ihm ’ne Nachricht hinterlassen, daß sie lieber tot sein wollte als weiter mit ihm zusammenzuleben.«
    »Ich glaube, Bill säuft zuviel«, sagte Kingsleys Stimme aus einer ungeheuren Entfernung.
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    »Als er zurückkam, waren beide Frauen weg. Er hat keine Ah‐
    nung, wohin Mrs. Kingsley gegangen ist. Lavery war im Mai bei ihr
    oben, doch seitdem nicht mehr. Das hat Lavery ja selbst mehr oder
    weniger zugegeben. Natürlich hätte Lavery gut wieder oben gewe‐
    sen sein können, als Bill zum Schlucken unterwegs war, aber es gibt
    so gut wie kein Anzeichen dafür, und außerdem hätten sie dann mit
    zwei Autos runterfahren müssen. Ich hielt es zuerst für denkbar, daß Mrs. K. und Muriel Chess zusammen verschwunden sind, aber
    Muriel hatte

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