Die Tote im See
war ein zweigeschossiges weißes Haus mit einem dunklen
Dach. Das helle Mondlicht glänzte auf den Mauern wie ein frischer
Anstrich. Die unteren Vorderfenster hatten schmiedeeiserne Gitter.
Ein kurzgeschnittener Rasen lief bis zur Eingangstür, die diagonal in
die Ecke einer vorspringenden Mauer eingelassen war. Alle Fenster,
die man sehen konnte, waren dunkel.
Degarmo stieg aus, ging den Rasenweg entlang und schaute in die
Einfahrt der Garage. Er ging den Fahrweg hinunter und ver‐
schwand hinter einer Ecke des Hauses. Ich hörte, wie eine Garagen‐
tür geöffnet wurde, und dann den dumpfen Schlag, mit dem sie
wieder geschlossen wurde. Er tauchte an der Hausecke wieder auf,
schickte mir ein Kopfschütteln und ging über den Rasen zur Eingangstür. Er drückte seinen Daumen auf die Klingel und jonglierte
sich mit der anderen Hand eine Zigarette aus der Tasche in den Mund.
Er drehte sich von der Tür weg, um sie anzuzünden. Das Auf‐
flammen des Streichholzes schnitt scharfe, tiefe Linien in sein Gesicht. Nach einer Weile schimmerte auf einmal Licht durch den Tür‐
ventilator. Das Guckloch wurde aufgeschoben. Ich sah, wie Degar-mo seine Marke hochhielt. Langsam und widerwillig, wie es schien,
öffnete sich die Tür. Er ging hinein.
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Er blieb fünf Minuten weg. Hinter wechselnden Fenstern ging das
Licht an, dann wieder aus. Als er wieder aus dem Haus kam und zurück zum Auto ging, erlosch das Licht hinter dem Ventilator.
Dann war das ganze Haus wieder so dunkel, wie wir es vorgefunden hatten.
Er stand neben dem Wagen, rauchte und blickte die Kurve der
Straße hinunter.
»Nur ’n kleiner Wagen in der Garage«, sagte er. »Die Köchin sagt,
daß es ihrer ist. Keine Spur von Kingsley. Die da drin sagen, daß sie
ihn seit heute morgen nicht gesehen hätten. Ich habe in alle Zimmer
geschaut. Ich denke, daß sie die Wahrheit sagen. Webber und der Mann für die Fingerabdrücke waren am späten Nachmittag da, man
kann das Staubpulver noch jetzt im Schlafzimmer sehen. Webber
wollte Fingerabdrücke haben, um sie mit denen zu vergleichen, die
wir in Laverys Haus gefunden haben. Er hat mir nicht erzählt, was
dabei herausgekommen ist. Wo kann er denn stecken – ich meine Kingsley?«
»Überall«, sagte ich. »Unterwegs, in einem Hotel, in einer Sauna, um seine Nerven zu beruhigen. Aber vielleicht sollten wir’s zuerst mal bei seiner Freundin probieren. Sie heißt Fromsett und wohnt im
Bryson Tower am Sunset Place. Das ist weiter stadteinwärts, in der
Nähe von Bullock’s Wilshire.«
»Sie macht was?« fragte Degarmo, während er sich wieder ans
Steuer setzte.
»Sie hält sein Büro auf Trab und außerhalb des Büros sein Händ‐
chen. Aber sie ist trotzdem nicht bloß ’ne Büromieze. Sie hat Köpf‐
chen, und sie hat Stil.«
»Sie wird beides gut brauchen können«, sagte Degarmo. Er fuhr
Richtung Wilshire, und wir bogen wieder nach Osten ab.
Nach fünfundzwanzig Minuten erreichten wir den Bryson Tower,
einen weißen Stuckpalast mit üppig verzierten Laternen im Vorhof
und hohen Dattelpalmen. Der Eingang befand sich innerhalb eines 231
L; man ging Marmorstufen hinauf und kam durch einen maurischen
Bogengang in eine Eingangshalle, die zu groß und auf einen Teppich, der zu blau war. Ali Babas blaue Ölkrüge waren ringsherum aufgestellt, alle groß genug, um Tiger drin zu halten. Es gab auch einen Empfangstisch nebst einem Nachtportier, der einen dieser
Schnurrbärte trug, die bequem unter einen Fingernagel passen.
Degarmo ging am Empfangstisch vorbei auf einen offenen Lift zu,
neben dem ein müder alter Mann auf einem Stuhl saß und auf Gäste
wartete. Der Portier kläffte Degarmo von hinten wie ein Terrier an.
»Einen Augenblick, bitte. Wen bitte wünschen Sie zu sprechen?«
Degarmo drehte sich auf den Absätzen um und sah mich fragend
an:
»Hat er ›Wen bitte wünschen Sie‹ gesagt?«
»Ja, aber schlagen Sie ihn deswegen nicht«, sagte ich. »Solche Wör‐
ter gibt’s wirklich.«
Degarmo leckte sich die Lippen. »Ich hab doch immer gewußt, daß
es was in der Art geben muß. Ich hab mich schon gewundert, wo sie’s versteckt gehalten haben. Hör zu, Freund«, sagte er zu dem Portier, »wir wollen rauf nach sieben‐sechzehn. Was dagegen?«
»Aber gewiß habe ich etwas dagegen«, sagte der Angestellte kühl.
»Wir pflegen keine Gäste mehr um«, er hob seinen Arm und dreh‐
te ihn affektiert, um auf die schmale längliche Uhr auf der
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