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Die tote Schwester - Kriminalroman

Die tote Schwester - Kriminalroman

Titel: Die tote Schwester - Kriminalroman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Brueggenthies
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Moment, ob Mendelstein hier einen gewissen Rassismus an den Tag legte. Die Russen und die Schwarzen, die nicht auf die Reihe bekamen, was die Westeuropäer und Amerikaner für selbstverständlich hielten.
    Aber vermutlich war es wirklich so gewesen.
    »Auf jeden Fall müssen Sie sich nicht vorstellen, dass da ein großer verwaltungsfreier Zeitraum, ein rechtsfreier Raum entstand. Und, davon haben Sie bestimmt schon einmal gehört, die Herren Bürgermeister aus der NS -Zeit wurden ja auch nicht unbedingt abgesetzt von den Alliierten oder so. Die arbeiteten teilweise recht schnell Hand in Hand mit der Militärregierung. Wo sollte man in jenen Zeiten neue Bürgermeister herbekommen, die Männer waren ja sowieso alle fort oder tot oder beides. Die deutsche Verwaltung hat direkt fleißig weitergemacht, der Bürgermeister hat sofort weitergemacht, alles lief seinen Gang. Erst später wurde der eine oder andere entnazifiziert .«
    Zbigniew bemerkte, dass Mendelstein das Wort »entnazifiziert« mit einem gewissen Spott aussprach. Vermutlich machte es seinem Wortsinn keine Ehre.
    Er betrachtete den Mann mit den schlohweißen Haaren. Mendelstein hatte klare Haltungen zu dem, was damals geschehen war, doch er sprach sie nicht direkt aus. Zbigniew begann es interessant zu finden, wie der Archivar damit umging. Wie er subtil ironisierte.
    »Was damals in Büsdorf in der Hinsicht passiert ist«, fuhr er fort, »kann ich Ihnen natürlich nicht sagen. Wie gesagt, am besten finden Sie dort noch Augenzeugen. Ein paar leben noch.«
    Zbigniew fragte sich, zu welcher Gemeinde Büsdorf gehörte. Er war einmal durch das Dorf gefahren.
    Auf der Suche nach einem Braunkohlebagger.
    Mit Lena.
    Zbigniew trank seine Tasse aus. Es war an der Zeit, eine Entscheidung zu fällen, etwas zu tun. Doch sein Körper kam ihm schwer vor, trotz der Überdosis Koffein.
    Lena.
    Büsdorf.
    Sie hatte eine Hassliebe zu Braunkohlebaggern. Diese Hunderte Meter langen Ungetüme wurden gelegentlich von einem fortgebaggerten Ort in eine noch heile Landschaft transportiert. Für die Transporte durfte der das Land umklammernde Energiekonzern Autobahnen sperren, ganze Landschaften umbauen. Genauso wie er beim Kohleabbau kilometerweit Landstriche zerstören und nach Jahrzehnten in eine gleichförmige Landschaft rekultivieren durfte. Hierbei wurden manchmal durchaus ganze Dörfer entsiedelt und vernichtet.
    Lena hatte sich immer über all dies aufgeregt. Zerstörung im Dienste der umweltschädlichsten Energie, die die Menschheit jemals erfunden hatte. Aber sie war auch fasziniert gewesen. Die Braunkohlebagger-Transporte wurden wochenlang angekündigt, zum Event hochstilisiert. Die Kölner fuhren aus der Stadt heraus, um mit anzusehen, wie die Ungetüme durch die Gegend rollten. Büsdorf lag östlich der Verwüstungszone, und bei einem Ausflug zum Baggertransport waren Zbigniew und Lena durch diesen Ort gekommen.
    Zbigniew hatte allerdings keine besonderen Erinnerungen an das Dorf. Vermutlich sah Büsdorf aus wie alle Orte westlich von Köln: ein paar alte Backsteinhäuser und hübsche historische Hofanlagen, verschandelt durch einige hässlich dazwischengesetzte Nachkriegsbauten.
    Bergheim.
    Büsdorf musste zu Bergheim gehören.
    Ein Ort, wo Zbigniew niemanden kannte.
    Er hatte sich herzlich bei Mendelstein bedankt. Dieser hatte seltsam reagiert; er bedankte sich seinerseits bei Zbigniew, deutlich erfreut, dass sich jemand so ausführlich für sein Wissen interessiert hatte. Wenn Zbigniew noch weitere Fragen hätte, könne er jederzeit vorbeikommen. Sie schüttelten sich die Hände; Mendelsteins Haut fühlte sich hart und rau an.
    »Gibt es eigentlich irgendwelche Dinge, die damals in der Immermannstraße passiert sind?«, war Zbigniew plötzlich eingefallen, als er schon halb in der Tür stand.
    Mendelstein blickte ihn verwundert an, zuckte die Achseln.
    »Warten Sie, es gibt ein Buch«, sagte er dann.
    Er ging zwischen die Regale und holte einen dicken Wälzer hervor. Zbigniew quetschte sich neben ihn, sah über seine Schulter. In dem Buch waren, alphabetisch geordnet, alle Straßennamen von Köln verzeichnet.
    Beim Durchblättern begriff Zbigniew, dass hier für jede Straße angegeben war, wo gegen welche Juden Pogrome stattgefunden hatten, wo sich Synagogen und jüdische Einrichtungen befunden hatten, wo an welchen Stellen sich welche Dinge ereignet hatten.
    Mendelstein blätterte vor bis zum Buchstaben I. Die Immermannstraße war nicht

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