Die Tote von Charlottenburg: Kriminalroman (German Edition)
Kopf selbst hinter dem Verkaufstresen, wo sonst seine Frau bediente. Gerade eben wandte er sich um und rief dem Lehrling in der Backstube etwas zu. »Mach schneller, Ferdi, die Leute rennen mir die Bude ein!«
Ilse fragte die Frau, die vor ihr stand, wo denn die Bäckersfrau sei.
»Haben Sie nicht davon gehört? Sie hatte einen schlimmen Unfall. Ist von der Straßenbahn angefahren worden. Hat Verletzungen am Rücken und wird so bald nicht wieder im Laden stehen.«
»Und Herr Kellermann macht jetzt alles allein?«
»Sie sehen ja …« Die Frau deutete auf die Wartenden. »Er muss gleichzeitig verkaufen und backen, das geht nicht lange gut.«
Als Ilse endlich an der Reihe war, kaufte sie sechs Schrippen. Der Bäcker wischte sich mit dem Ärmel über die Stirn. Aus der offenen Tür der Backstube drang warme Luft in den Laden. Auf einmal verspürte sie eine nie gekannte Entschlossenheit.Sie reichte ihm die Geldscheine über die Theke und fragte, bevor sie es sich anders überlegen konnte: »Brauchen Sie Hilfe im Laden?«
Jakob Sonnenschein war länger im Büro geblieben, um noch einige der Unterlagen durchzusehen, die sie aus der Wohnung von Henriette Strauss mitgenommen hatten. Tagebücher, Briefe, Gehaltsabrechnungen, Fallberichte aus ihrer Beratungspraxis. Irgendwo in diesen Papieren musste sich ein Hinweis verbergen, ein mögliches Motiv, eine Spur, die zum Täter – oder der Täterin – führte.
Er war nach wie vor davon überzeugt, dass sie sich die Ärzte des Luisenkrankenhauses näher ansehen mussten. Das Gift, mit dem Henriette Strauss getötet worden war, schien nicht zu den verbreiteten Mitteln wie Blausäure oder Strychnin zu gehören, sonst hätte der Gerichtsarzt es gewiss erkannt. Wenn es sich um ein seltenes, wenig bekanntes Gift handelte, war es zumindest naheliegend, einen Mediziner oder eine Person, die in einem Krankenhaus arbeitete, zu verdächtigen.
Er saß im Schein der Schreibtischlampe, während das übrige Büro im Dunkeln lag. Die Tür zum Korridor war halb geöffnet, da um diese Tageszeit nur noch wenige Kollegen im Haus waren. Er blätterte, machte sich Notizen und war so in seine Lektüre vertieft, dass er den Mann, der herbeigeschlendert kam und sich lässig an den Türrahmen lehnte, gar nicht bemerkte.
»So spät noch im Dienst?«
Sonnenschein blickte überrascht auf. »Wie bitte?«
»Es kommt nicht oft vor, dass in diesem Büro so spät noch gearbeitet wird«, sagte der Mann, den er im Dämmerlicht nur als Schatten erkennen konnte. »Sind Sie neu hier?«
»Ja, Sonnenschein, Jakob. Ich … ich lese nur noch diese Unterlagen durch«, erklärte der Kriminalassistent leicht verunsichert.
»Machen Sie nur, Herr Sonnenschein, das wird Ihnen gewiss Kommissar Wechslers Wertschätzung einbringen. Sehr lobenswert, wenn die Untergebenen länger bleiben als der Chef.«
Der Mann sprach von oben herab, ein Ton, der Sonnenschein nicht gefiel. Ein Ton, den er nur zu gut kannte.
»Soll ich ihm etwas ausrichten?«
»Nein, nein. Ich kam nur zufällig vorbei. Einen wohlklingenden Namen haben Sie übrigens«, fügte er hinzu und ging pfeifend davon.
Sonnenschein sah ihm nach. Ein unangenehmer Mensch. Er ahnte, dass er nicht zufällig vorbeigekommen war. Der junge Beamte schüttelte den Kopf und wandte sich wieder seinen Unterlagen zu.
Eine Stunde später lehnte er sich zurück und rieb sich die müden Augen. Es wurde langsam Zeit, nach Hause zu gehen. Andererseits wartete dort nur ein leeres Zimmer auf ihn. Er warf einen Blick auf die Mappe mit Briefen, die er gerade durchsah, es waren nicht mehr viele. Die würde er noch erledigen, danach wäre endgültig Schluss für heute.
Als er den Namen las, stutzte er. Dahlke, Dr. Paul Dahlke, den hatte er im Zusammenhang mit dem Fall Strauss schon einmal gehört. Er massierte sich mit den Fingerspitzen die Stirn, als könnte er sein Erinnerungsvermögen dadurch anregen. Vielleicht ein Kollege aus dem Krankenhaus? Nein, das war es nicht.
Dahlke … Dahlke … In irgendeinem Gesprächsprotokoll tauchte der Name auf. Richtig: der Bekannte von Henriette Strauss, der in Frohnau ein buddhistisches Haus baute.
Rasch sah Sonnenschein die Briefe durch. Natürlich fehlte eine Hälfte der Korrespondenz, Henriette Strauss hatte nicht, wie es manche Menschen machten, Kopien ihrer eigenen Briefe behalten. Meist konnte er jedoch aus Dahlkes Antworten schließen, was sie zuvor geschrieben hatte. Es warenBriefe, in denen sie sich über
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